Buschi Luginbühl. Bild: Joseph Schmidiger

Unter freiem Himmel

Von Buschi Luginbühl

Am letzten Sonntag fand der fünfzehnte Swiss-City-Marathon in Luzern statt. Ich muss gestehen, ich bin nicht gerade Fan, aber dennoch blieb ich an den Vorschauen hängen. Ich las und staunte, was da plötzlich an Verkehrsregelungen möglich wurden. Und ganz leise fragte ich mich: «Wenn so etwas möglich ist, wäre es dann vielleicht sogar denkbar, wieder mal auf der Treppe vor der Hofkirche Theater zu spielen?»

Träumen ist erlaubt.   

Der Aufgang zur Stiftskirche St. Leodegar, was ist das für eine imposante Theaterkulisse! Kein Wunder also, dass Oskar Eberle dort einige seiner grossartigsten Aufführungen realisierte. Übrigens, einmal mit dabei als junges Mädchen Margrit Winter, die daraufhin unbedingt Schauspielerin werden wollte. Auf Geheiss des strengen Vaters musste sie aber vorher eine Schneiderinnenlehre absolvieren. Zuerst einen richtigen Beruf lernen. Ein Satz, der auch heute noch vielen jungen, theaterbegeisterten Menschen nicht unbekannt sein dürfte. Und wenn ich mir die Situation in der heutigen Theaterszene vergegenwärtige, ist er leider gar nicht so abwegig.  

Oskar Eberle engagierte sich zeitlebens unbeirrt für das Volkstheater. Vor allem lag ihm das «Theater unter freiem Himmel» am Herzen. Er erneuerte zum Beispiel das Welttheater in Einsiedeln. Und eines seiner Meisterwerke war das Passionsspiel 1938 vor der Hofkirche.

Nur schon die Bühnen – und die Tribünenanlage, ein gigantisches Bauwerk. Konzipiert hatte sie kein geringerer als Armin Meile, der Erbauer des ehemaligen Kunst- und Kongresshauses. Dort fanden 1934 unter der Leitung von Oskar Eberle bereits Aufführungen der «Passionsspiele Luzern» statt. Gestartet wurde die Neubelebung der «Alten Spiele» – diese gehen ja bis ins 16. Jahrhundert zurück – im Jahre 1924.

Man spielte in der alten Festhalle beim Bahnhof, noch ohne Oskar Eberle, der erst 1929 dazustiess. «In einer kalten, alten Baracke, schrecklich», sagte später einer der Mitwirkenden, der damals als siebenjähriger Knirps mit dabei war. Nach den eindrücklichen Aufführungen 1938 kam dann das Aus für die Passionsspiele. 1942 realisierte Oskar Eberle vor der Hofkirche noch eine eigene Dialektfassung des «Jedermann». Vielleicht kennen Sie das Stück ja von Salzburg her. Es ist bis heute fester Bestandteil der dortigen Festspiele.

Weitere solche Projekte Eberles scheiterten dann, da die Stadt die öffentlichen Plätze nicht mehr zur Verfügung stellen wollte. 1945 verweigerte der Stadtrat Theateraufführungen vor dem Löwendenkmal – aus Gründen «vaterländischer Gefühle». 1946 wurden erneute Aufführungen vor der Hofkirche abgelehnt, wegen der unästhetischen Tribüne. 1947 und 1948 stellte sich die Stadt auch gegen Aufführungen vor der Franziskanerkirche und auf dem Weinmarkt. Dazu beantragte Eberle, die Bahnhofstrasse während den Aufführungen zu sperren, vor allem das Geknatter der Motorräder sei störend. Auch dies wurde abgelehnt. Aber Eberle war eine Kämpfernatur, unentwegt intervenierte er beim Stadtrat. So schrieb er unter anderem: «Die vier schönsten und eindrücklichsten Spielräume Luzerns werden uns verboten – im Namen der Kunst, des Vaterlandes, vor allem aber im Namen des Verkehrs.» Letzteres damals schon.

Doch zurück zur Gegenwart, und das heisst: Im Sommer 2022 fanden in der Deutschschweiz sage und schreibe über dreissig Freilichtspiele statt. (Die kommerziellen Superevents auf den verschiedenen Seebühnen nicht mitgezählt.) Über dreissig Theateraufführungen, mehrheitlich von Laien gespielt, die dafür monatelang ihre Freizeit opferten. Wobei es vermutlich doch mehr Vergnügen denn Opfer sein dürfte. Und vergessen wir all die vielen freiwilligen Helfer nicht, die hinter der Bühne mitwirken.

Mein persönlich eindrücklichstes Freilichttheater erlebte ich diesen Sommer vor der Villa Schröder auf Tribschen. Es war ein wunderbares Theaterspektakel, Shakespeares Komödie «Viel Lärm um nichts», in einer exzellenten Mundartfassung von Charles Lewinsky. Regie führte Ueli Blum, mit dem ich dann, zusammen mit Franziska Senn, auf dem Ballenberg selber als Co-Regisseur «Theater unter freiem Himmel» realisieren durfte. Was den Theaterabend aber noch besonders machte. 1975 spielte ich am selben Ort in «Gschlabber» mit, einem Stück, das der Autor Heinz Stalder extra für die Luzerner Spielleute geschrieben hatte.  

Zum Schluss noch eine kleine Anekdote in Sachen Natur und Theater: Bereits Richard Wagner soll während seines Aufenthalts in der Villa auf Tribschen von einer eigenen Bühne in Luzern, ja sogar von einem schwimmenden Festspielhaus in Brunnen geträumt haben. Erst die konkrete Erfahrung eines Föhnsturms auf dem Urnersee lenkten seine Träume schliesslich Richtung Bayreuth.

Man munkelt allerdings, dass die wagnerschen Luzern-Träume vielleicht doch noch wahr werden, im geplanten neuen Theater, mit einer grösseren Bühne und einem «angemessenen» Orchestergraben. Garantiert ohne wetterbedingte Kapriolen, andere sind allerdings nicht ganz ausgeschlossen. Wie auch immer…

Hingegen Tatsache ist: Die nächsten Sommernächte kommen bestimmt, und mit ihnen viele interessante Theaterprojekte unter freiem Himmel.

2. November 2022 – buschi.luginbühl@luzern60plus.ch


Zur Person
Buschi Luginbühl, Jahrgang 1942, ist in Kriens geboren und aufgewachsen. Nach der Weiterbildung als Architekt tätig. 1978 beruflicher Neubeginn. Zweijährige Stage bei Schweizer Radio DRS, dann freischaffender Regisseur für Hörspiel & Satire. Schauspielausbildung, Engagements im In- und Ausland. 30 Jahre zusammen mit Franziska Kohlund Leiter der freien Theatertruppe IL SOGGETTO (u.a. mit Margrit Winter, Erwin Kohlund und Peter Brogle). Arbeitet bis heute als Regisseur und Bühnenbildner im In- und Ausland. Diverse Publikationen zum Theater. Er lebt in Luzern.