„Ich ärgere mich manchmal auch über Velofahrer“, sagt Stadtrat Adrian Borgula.  Foto: Joseph Schmidiger

„Es werden durchaus Bussen ausgesprochen“

Ältere Fussgängerinnen und Fussgänger ärgern sich über rücksichtslose Velofahrer. Er könne den Unmut verstehen, sagt Stadtrat Adrian Borgula. In der Stadt Luzern gebe es aber zu wenig Raum, um alle Mischzonen aufzuheben. Muss mittelfristig das Auto Platz machen?

Mit dem Luzerner Umwelt- und Mobilitätsdirektor Adrian Borgula (Grüne) sprach Beat Bühlmann 

Wer in der Stadt Luzern zu Fuss unterwegs ist, ärgert sich täglich über Velofahrerinnen und Velofahrer. Sie missachten Rotlichter und Fahrverbote, befahren Trottoirs und Fussgängerstreifen, sind mit E-Bikes oft zu schnell unterwegs. Das Missbehagen ist unter der älteren Bevölkerung verbreitet, wie die repräsentative Umfrage im Hinblick auf die Aufnahme ins WHO-Netzwerk «Age-friendly Cities» verdeutlichte. Fast die Hälfte der Befragten fühlt sich durch Velos, E-Bikes oder Trottinette gefährdet. Wie Abhilfe schaffen?

Zu Fuss Gehende ärgern sich oft über Velofahrende, die sich nicht an Regeln halten oder zu schnell fahren. Verständlich?
Adrian Borgula: Ja, ich kann diesen Unmut nachvollziehen. Ich ärgere mich manchmal auch über Velofahrer, die ohne Rücksicht zu schnell durch Fussgängerzonen fahren oder sich nicht an Regeln halten. Ihnen fehlt das Bewusstsein, dass sie mit ihrer rasanten Fahrweise Passantinnen und Passanten erschrecken können. Ich selber versuche, als Velofahrer rücksichtsvoll unterwegs zu sein. Wenn ich von hinten komme, achte ich darauf, dass ich dort fahre, wo Platz ist, dass ich die Wege der zu Fuss Gehenden voraus zu sehen versuche und sie nicht zu eng überhole.

Braucht es breite Sensibilisierungsmassnahmen für mehr Rücksichtnahme?
Wir versuchen seit einigen Jahren, zum Beispiel mit grossen Klebern auf der Strasse, für mehr Rücksicht bei den Velofahrenden zu werben. Sie sind gegenüber den zu Fuss Gehenden in der stärkeren Position und müssen sich dessen bewusst sein. Mit fällt auf, dass es auf der Reussbrücke mit viel Publikum meist gut funktioniert.

Andernorts klappt das weniger gut. Auch scheint die Polizei wenig präsent zu sein und Regelverstösse kaum zu sanktionieren.  
Die Polizei liegt in kantonaler Kompetenz und setzt eigene Prioritäten. Sie ist in der Innenstadt aber durchaus präsent, auch auf dem Fahrrad, und stärkt so die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl. Und es werden durchaus Kontrollen durchgeführt und Bussen ausgesprochen!

Viel scheint es nicht zu helfen. Warum glaubt ein Teil der Velofahrenden, sich nicht an Verkehrsregeln halten zu müssen?
Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass die Velofahrerinnen und Velofahrer im städtischen Raum selber an den Rand gedrängt werden und auf den Hauptstrassen oft mit gefährlichen Situationen konfrontiert sind. Besonders eng wird es etwa auf der Zürichstrasse, der Seebrücke, der Bernstrasse oder an der Haldenstrasse. Oft vergessen wir, dass die Autos am meisten Fläche beanspruchen und objektiv durch ihre Menge, Geschwindigkeit und ihre Masse am stärksten die Sicherheit gefährden. Es bringt deshalb wenig, wenn sich Fuss- und Veloverkehr im Clinch befinden, statt sich gemeinsam für den umweltfreundlichen Verkehr stark zu machen. Weniger Autoverkehr bedeutet eine ruhigere, weniger gefährlichere Stadt, eine bessere Aufenthaltsqualität und einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.

Dennoch: Wer zu Fuss geht, möchte entspannt durch die Stadt spazieren können, ohne von Velos bedrängt zu werden. Vor allem die Mischzonen, wo sich Velos und Fussgänger den Raum teilen, bergen Konfliktpotenzial.  
Es ist so, Mischzonen sind nie die beste Lösung. Hier kommt es am häufigsten zu Friktionen. Aber es ist schlicht nicht möglich, Velo- und Fussverkehr überall auseinanderzuhalten. Dazu fehlt uns der städtische Raum. Pragmatisch gibt es aber durchaus gut funktionierende, pragmatische Lösungen mit Mischverkehr, zum Beispiel stadteinwärts von der Geissmattbrücke Richtung Naturmuseum. Immerhin wird sich die Situation auf der neuerdings autofreien Bahnhofstrasse und dem Jesuitenplatz entschärfen, weil Fussgänger und Velos mehr Platz beanspruchen können.

In Deutschland werden zu Fuss Gehende und Velofahrende mit nicht übersehbaren Markierungen auf getrennten Bahnen geführt. Würde das auch bei uns helfen?
Das ist hier oft nicht umsetzbar. Die meisten deutschen Städte, wie das velofreundliche Freiburg, verfügen über weit mehr Platz als Schweizer Städte. Denn die Gehwege sind meistens doppelt so breit wie bei uns. Diesen Raum haben wir nicht, wir könnten dies nur zulasten der Parkierungsflächen umsetzen – und das ist politisch nicht einfach. Bei einem Ja zum neuen Parkierungsreglement, über das wir im Juni abstimmen, gewinnen wir immerhin ein wenig Spielraum, denn das private Dauerparkieren soll stärker in den privaten Bereich verlagert werden. So könnten wir gewisse Parkflächen für andere Nutzungen, etwa für Boulevardrestaurants und für längere Velowege gewinnen.

Der Entscheid des städtischen Parlaments, die Hertensteinstrasse stadteinwärts länger für den Veloverkehr freizugeben, hat viel Unmut gelöst. Warum diese Lockerung in einer stark frequentierten Fussgängerzone?
Die Hertensteinstrasse ist abends eine Stunde früher und morgens eine Stunde länger zu befahren, das ist gut machbar. Zu diesen Zeiten sind wenige Fussgängerinnen und Fussgänger unterwegs. Ziel des Postulats war eben auch, ein wenig Druck auf den Kanton ausüben, damit er Hand bietet, um die für Velos prekäre Situation an Alpenstrasse und Schweizerhofquai zu entschärfen, beides sind Kantonsstrassen.

Die hängige Volksinitiative «Luzerner Velonetz jetzt!» fordert mehr Velobahnen in der Stadt. Wie soll das gehen?
Das ist nicht einfach. Dennoch arbeiten wir daran, wie in der Stadt Luzern ein sicheres, durchgängiges Velowegnetz zu realisieren ist. Durchgängig mit Velobahn-Qualität und vorbildlichen Breiten ist es vielleicht nicht zu schaffen, und die Topographie können wir auch nicht aus dem Weg räumen. Aber wir werden dem Parlament einen guten, pragmatischen Vorschlag präsentieren. Das würde sicher auch die Konflikte mit dem Fussverkehr reduzieren..

Auf dem Xylophonweg, das zeigte die Befragung zum WHO-Bericht, werden vor allem die schnellen E-Bikes als Bedrohung empfunden. Müssten diese nicht, wie etwa in Kriens, wie Motorfahrräder auf die Strasse verbannt werden?
Das sind wir am Überlegen. - 20.5.2021

beat.buehlmann@luzern60plus.ch