Jetzt erst recht!

Von Cécile Bühlmann

Als ich die Nachricht von den schrecklichen TerroranschIägen in Paris hörte, ging mir nebst vielen andern der Gedanken durch den Kopf, dass ich eigentlich ganz froh sei, nicht mehr jung zu sein. Was kommt da noch alles auf die freie Welt zu, fragte ich mich. Womit werden sich die jüngeren Generationen noch auseinandersetzen müssen, das meiner Generation bisher erspart geblieben ist? Werden sie noch ein freies unbeschwertes Leben führen können oder werden ihre Möglichkeiten, sich mobil und sicher bewegen zu können,  durch Terror und einen repressiven Überwachungsstaat eingeschränkt? Wie prägen solche Erfahrungen wie die vom Freitag, dem 13. November, ihren Blick auf die Welt? Können junge Menschen noch mit Zuversicht in die Zukunft blicken, wenn die Errungenschaft der Neuzeit so fragil geworden sind, wenn der dünne Firnis der Zivilisation so gefährliche Risse bekommt?

Diese eher düstere Sicht auf die Zukunft und das Frohsein darüber, nicht mehr jung zu sein, ist etwas, was mir in den letzten Jahren häufiger passiert: nach der Atomkatastrophe von Fukushima,  bei den Zukunftsszenarien durch die Klimaerwärmung, bei den Nachrichten über zerfallende Staaten, bei Berichten über die Hoffnungslosigkeit, die Hunderttausende von Menschen in eine risikoreiche Flucht treibt.

Und wie war es früher?
Wie war das eigentlich, als ich jung war, in den 50er und 60er Jahren? Da hatte die Welt gerade die zivilisatorische Katastrophe des zweiten Weltkrieges mit Millionen Toter und Traumatisierter überstanden. Die Weltengemeinschaft begann die Lehren daraus zu ziehen, die Uno und  die Europäische Menschenrechtskonvention entstanden, sie legten Standards für ein friedliches Zusammenleben fest. Es herrschte eine „Nie-wieder–Krieg!"-Stimmung  und die 68-er Bewegung stellte traditionelle Autoritäten und Institutionen in Frage und fegte erstarrte Konventionen hinweg. Kurzum, es gab eine grosse Hoffnung auf eine bessere kommende Welt. Meine Sicht der Zukunft war stark von dieser Aufbruchsstimmung geprägt. Ich war von der Hoffnung beseelt, dass meine Generation die Welt zum Guten verändern könne. Den überall entstehenden sozialen und ökologischen Bewegungen gelang es, aufzuklären und zu bewegen, ich war Teil davon und mittendrin in diesen Veränderungen.

Beim genaueren Erinnern an jene Zeit kommen mir natürlich auch schwierige Erfahrungen in den Sinn: die Angst vor einem Dritten Weltkrieg, ausgelöst durch die Aufstände in der Tschechoslowakei  oder durch die Kubakrise. Oder die Angst vor einem Atomkrieg. Es war aber auch die Zeit der grossen Friedens- und Anti-AKW-Demos. Mein Rezept gegen die Angst war -  und ist bis heute -  sich einzumischen und zu engagieren. Das ist gut gegen Gefühle der Ohnmacht und der Wut! Dieses Mittel haben trotz aller Unterschiede von damals und heute – auch junge Menschen. Und es gibt einiges, wofür es sich einzusetzen lohnt: gegen den Überwachungsstaat, gegen soziale Ausgrenzung und Armut, für eine weltoffen und tolerante Gesellschaft - jetzt erst recht!

21. November 2015

Zur Person

Cécile Bühlmann, geboren und aufgewachsen in Sempach, war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und als Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht. Seit 2006 ist sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz und Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit anfangs 2014 ist sie pensioniert und lebt in Luzern.