Meinrad Buholzer. Bild: Joseph Schmidiger

Warmselig

Von Meinrad Buholzer

Liest man regelmässig Antworten von Exekutiven auf parlamentarische Vorstösse, hat man den Eindruck, dass sie es sich zuweilen sehr einfach machen: Ein Statement, dem man die unbetroffene bürokratische Verwurstung ansieht. Zuerst wird routinemässig Verständnis für das Anliegen behauptet, um es dann – fertig Verständnis – mit ein paar Floskeln abzuwimmeln.

Daran musste ich denken, als ich die Antwort des Luzerner Stadtrates auf einen Vorstoss las, der bei grosser Hitze klimatisierte Rückzugsorte für die Öffentlichkeit forderte. Ich ahnte, dass Klimaanlagen abgelehnt werden: Nicht zu vereinbaren mit der Klima- und Energiestrategie. Und was schlägt der Stadtrat ersatzweise vor? Online-City-Maps, die kühle Orte anzeigen, ein Hinweis in einem Brief an über 75-Jährige auf kühle Orte, die Abgabe kühlender Getränke. Sehr originell. Wenn wenigstens die Absicht einer ernsthaften Auseinandersetzung erkenntlich wäre. Aber diese Antwort hat einen Preis für Einfallslosigkeit verdient.

Glaubt jemand, der sich nur einen Moment lang in die Lage eines – beispielsweise betagten – Menschen in einer überhitzen Wohnung einfühlt, ernsthaft, diesem sei damit geholfen? Wenn ja, dann schlage ich vor, dass er oder sie bei einer Hitzewelle ein Schnupperlager in einem nicht isolierten Dachgeschoss absolviert.

Mit der gleichen Begründung kann man uns im Winter die Heizung abschalten. Sollen wir uns doch warm anziehen, dazu ein Brief mit Tipps zum Warmhalten. Und wie viel Abwärme das Kochen von Mahlzeiten verbraucht, wollen wir gar nicht wissen. Da wäre also noch Luft nach unten.

Derweil wird gefeiert, wer elektrisch in der Welt herumfährt und offenbar verkraftbar Strom verbraucht. Man zwingt die Bevölkerung zum Gebrauch von Smartphones, Laptops, weil sie sonst kaum mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Viele Dienstleistungen so genannter Dienstleister können nur online bezogen werden – der öV ist auf dem besten Weg dazu. Erfährt man vom exzessiven Stromverbrauch von KI oder von Bitcoins, gibt man sich fünf Minuten lang betroffen, bevor man wieder zum Handy greift, um die neusten Nachrichten, das Wetter, die Mails, die ach so wichtigen Botschaften auf Social Media zu konsumieren und die neuste App herunterzuladen. Mit jedem Tag vermehren sich strombetriebene Must-haves und Gadgets exponentiell. Und bei keiner dieser Neuerungen informiert uns der Stadtrat über die damit verbundene Abwärme. Ist offenbar ohne weiteres mit der städtischen Klima- und Energiestrategie zu vereinbaren.

Für Computer-Zentren stellt man fraglos Klimaanlagen bereit, weil sie sonst nicht funktionieren. Menschen dagegen – und in diesem Fall vor allem auch alte, die ohnehin keine volkswirtschaftliche Leistung mehr erbringen – sind dagegen offenbar eine quantité négligeable. Was das wohl aussagt über unsere Gesellschaft?

Um etwas klarzustellen: Obwohl kein Freund grosser Hitze, habe ich keine Klimaanlage und habe auch nicht die Absicht, mir eine zuzulegen. Und es geht mir nicht darum, Klimaanlagen zu propagieren. Doch im vorliegenden Fall stellt sich die Gretchenfrage nach dem kleineren Übel. Das könnten klimatisierte Räume für die Öffentlichkeit sein. Aber vielleicht gibt es tatsächlich auch andere Lösungen (Sprühnebel?), aber auch solche werden vom Stadtrat offenbar nicht erwogen.

Es ist nicht abwegig zu überlegen, dass, wer die «einfühlsame» Antwort des Stadtrats gelesen hat, sich sagt: Ja nun denn, wenn der keine Klimaanlagen will, dann kaufe ich mir halt vorsichtshalber selber eine. Kühlende Getränke kann ich mir selber beschaffen, der Brief des Stadtrates macht das Leben auch nicht cooler und das Smartphone mit den City-Maps lasse ich mal liegen. Das wäre wohl kaum die bessere Lösung ...

18. Juli 2025 – meinrad.buholzer@luzern60plus.ch


Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten (LNN). 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten – der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.