«Auf mich kann mein Sohn zählen»: Enver Candan. 

Wenn der Sohn Nationalrat wird

Enver Candan hatte die Hoffnung bereits aufgegeben. Enttäuscht verliess er das Regierungsgebäude, sein Sohn Hasan hatte die Wahl in den Nationalrat nicht geschafft. Doch später, mit dem Blick auf die definitiven Wahlresultate, kam alles anders: Die SP gewann einen zweiten Sitz. Und am zweitmeisten Stimmen auf der Liste bekam Hasan. Er war Nationalrat.Von Albert Schwarzenbach (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Vater und Sohn hatten alles getan, um erfolgreich zu sein. Unterstützt von Kemal, dem zweiten Sohn, und weiteren Teammitgliedern, verteilten sie 65'000 Wahlkarten in der Stadt und der umliegenden Agglomeration, 4000 Briefe schrieben sie, um Stimmen zu sammeln. Auf Plakaten war der Kopf von Hasan zu sehen, über die Bildschirme in den Bussen flimmerte seine Botschaft. 16'000 Franken kostete die Kampagne.

«Nur wenige glaubten, dass es klappen würde», sagt der 65-jährige Enver Candan. Die Chancen waren zwar intakt, denn die SP verpasste 2015 und 2019 den zweiten Nationalratssitz nur knapp. Die Ausgangslage war aber in diesem Jahr schwieriger, denn ohne die bisherige Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo und wegen des Trends zur SVP hatte die Partei schlechtere Karten. Hasan war für einen der vorderen Plätze gut, denn bereits 2011 wurde er, schon damals ziemlich überraschend, in den Kantonsrat gewählt. Dort kamen seine Qualitäten zum Tragen. Zielstrebig war er. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, wollte er es erreichen. Ihm lagen Themen nahe, die er auch als Nationalrat verfolgen wird: die Umwelt, die Mieterinnen und Mieter, der Verkehr.

Wahlheimat Luzern
Wichtiger Gesprächspartner und Vorbild war immer sein Vater. Enver Candan wurde in der Osttürkei geboren und besuchte in Ankara die Universität. Als Teilnehmer an Studentendemonstrationen wurde er verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Als er wieder frei war, verliess er umgehend das Land und zog nach Paris, um eine Lebensperspektive zu erhalten. Bei einem Besuch in Luzern lernte er seine zukünftige Frau kennen, eine Schweizerin, und beschloss, sein Leben hier weiterzuführen.

In Luzern schloss er sich der Sozialdemokratischen Partei (SP) an und wurde 2014 in den Grossen Stadtrat gewählt, wo er bis 2020 blieb. Im Parlament setzte er sich für die Integration ein und kämpfte gegen Rassismus und Diskriminierung. Beruflich war er im Bau und bei der Post tätig und schloss drei Hochschulstudien ab. Früh verlor er seine Frau.

Studium statt Fussball
So wurde er zum alleinerziehenden Vater. Daraus entstand ein sehr enges Verhältnis zu seinen Söhnen. Er verbrachte mit ihnen schöne Ferienwochen. «Wir sind zu einem richtigen Team zusammengewachsen», sagt Enver Candan. Hasan riet er, nicht im Fussball Karriere zu machen, sondern ebenfalls zu studieren, was der Sohn denn auch tat. Heute arbeitet Hasan Candan mit einem 70-Prozent-Pensum bei Pro Natura Schweiz in Basel, das mit der Wahl in den Nationalrat auf 50 Prozent reduziert wird.

In Zukunft steht der frischgebackene Nationalrat im Rampenlicht. «Er wird eine Person des öffentlichen Lebens, seine Aussagen müssen sorgsam überlegt sein, denn die Politik verzeiht auf nationaler Ebene nichts», sagt sein Vater. Möglichst rasch sollte er «Arena»-tauglich werden. «Langsam kommt er nach der überraschenden Wahl in der Realität an und erkennt, was ihn erwartet.» Ob dem bekennenden Stadtluzerner noch viel Zeit für seine Hobbys, das Pilzsuchen, den Langlauf oder gar die Fasnacht bleibt? Die Familie – er hat einen Sohn – wird ihn unterstützen, das steht fest.

Gemeinsames Mittagessen
Insbesondere der Vater. «Wir telefonieren viel und treffen uns einmal pro Woche zum Mittagessen.» Und das soll so bleiben. Am ersten Tag der neuen Legislatur reist Enver Candan nach Bern, um von der Tribüne aus die ersten Schritte seines Sohnes im Nationalratssaal zu verfolgen. «Damit er weiss: Auf mich kann er zählen.»

12. November 2023 – albert.schwarzenbach@luzern60plus.ch