Agatha Fausch: "Wir waren dauernd auf der Strasse und machten Aktionen." 

«Wenn frau will, steht alles still»

1981 kam der Gleichstellungsartikel in die Verfassung. Doch ging es mit der Umsetzung nicht vorwärts. Dies führte am 14. Juni 1991 schweizweit zum ersten Frauenstreik. Mit ungebrochener Begeisterung erzählt Agatha Fausch am Küchentisch - dort, wo alles begann - vom intensiven und lustvollen Engagement.

Von Monika Fischer (Text und Bild)

«Ich kam schon auf die Welt, als ich vor 45 Jahren mit meinem Lebensgefährten Rolf Wespe nach Luzern kam», lacht Agatha Fausch rückblickend. Sie musste sich als Doppelverdienerin ebenso durchsetzen wie als schwangere Mutter. Vorher hatte sie studiert, gearbeitet, sich weitergebildet - in Zürich, Holland und in England gelebt. Doch mit der Kinderfrage merkte sie, wie schwierig es war, Erwerbs- und Familienarbeit zu teilen.

Es ging nicht vorwärts

Schon früher in Zürich beim VPOD engagiert, wusste sie: «Wenn ich Ideen umsetzen will, muss ich sowohl bei der Struktur (Gewerkschaft) als auch bei der Bewegung (OFRA) aktiv mitmachen. Sie trat in die nationale VPOD-Frauenkommission ein und gründete in Luzern eine Frauengruppe. «Wir waren dauernd auf der Strasse und machten Aktionen und Demos für unsere Anliegen: gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Mutterschaftschutz, Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz usw.. Mit bürgerlichen Frauen zusammen bauten wir das Frauenhaus auf. Immer wieder fanden wir Verbündete, das gab Energie.» Denn ein langer Atem war gefragt. Agatha schildert es am Beispiel der familienergänzenden Kinderbetreuung. 1980 hatte sie den Tagesschul-Verein gegründet. Zwei Initiativen wurden abgelehnt mit der Begründung, die Kinder gehören am Mittag an den Familientisch. Es dauerte 25 Jahre, bis 2005 die Tagesschule eingeführt wurde. «1981 kam die Gleichstellung zwar in die Verfassung. Doch ging es nicht vorwärts. Wir bekamen lediglich Brösmali von dem, was wir forderten.»

Aufwendig und lustvoll

Als der von Christiane Brunner postulierte Frauenstreik 1990 beim SGB-Kongress knapp durchging, wusste Agatha nach der Heimkehr aus Bern: Jetzt oder nie. Und doch hatte sie auch Bedenken: «Werden wir gehört und eine Form finden, damit wir nicht heruntergemacht werden?» Sie rief zu einer ersten Sitzung am Küchentisch zusammen. «Dort hatten wir bald nicht mehr Platz, wurden wir doch rasch mehr und mehr.» Studentinnen und Frauen aus der Kunstszene kamen dazu und halfen beim Texten und Organisieren mit. In verschiedenen Gruppen wurde intensiv und lustvoll gearbeitet. Die zentralen Anliegen wurden diskutiert, in Postulaten formuliert und von den Künstlerinnen auf Plakaten schön gestaltet. Damit wollte frau am Streiktag auf Sackkarren in der Stadt herumfahren und vor die Geschäfte stellen. Es war eine mobile Aktion, dezentral sichtbar.

Im Mai kamen aus dem ganzen Kanton von Frauengruppen und Betrieben Anfragen für Material für geplante Aktionen. Es ging damals noch alles per Telefon und mit Briefen.

«Die Arbeit war aufwendig, machte aber auch Spass, wir fanden viel Akzeptanz und Unterstützung.» Sie erzählt von der gesprächsbereiten Polizei, der Wirtin Claudia Moser, die den Platz zum Wirten unter den Arkaden abgab und von den Männern, die den abendlichen Festbetrieb unter der Egg vollumfänglich übernahmen. Lachend schildert sie, wie schliesslich die Streikfahne am Rathaus zum Flattern kam. Nachdem Heidi Rothen ihr Anliegen strikte abgelehnt hatte, begegnete sie auf dem Rathaussteg zufällig Franz Kurzmeyer und Stadtrat Werner Schnieper. Spontan klagte sie den beiden ihre Enttäuschung. Der Stadtpräsident hörte aufmerksam zu und fand eine Streikfahne am Rathaus in Ordnung. Die Fahne «Wenn frau will, steht alles still» dürfe hangen. «Und 2019 hing eine Streikfahne am Männliturm, das war genial, ein starkes Symbol. Zudem machten mindestens zehnmal mehr Frauen mit als vor dreissig Jahren. Und doch war es damals ein bewegter Tag.»

Aktionen und Wünsche

Sie erzählt, wie sich zuerst nur wenige Leute auf dem Kornmarkt einfanden. Sehr früh kam Ständerätin Josi Meier und setzte sich an einen der lila Tische. Es war ein Anziehungspunkt. Bald kamen auch andere Frauen, und die Tische füllten sich. An einer grossen Wäscheleine konnten die Frauen ihre Wünsche aufhängen. In der von Yvonne Volken und Marianne Iten verfassten Broschüre sind diese aufgelistet, z.B. «Mehr Solidarität unter den Frauen» - «Mutige Frauen für die Bildungspolitik» - «Keine unterschiedliche Bewertung der Arbeit (Haus-und Berufsfrauen) bei der IV» - «Soziale Gleichstellung in der Altersvorsorge.» Lisa Bachmann führte mit den Theaterfrauen im Rathaus kleine Szenen auf. Viele Gruppen, darunter die Kirchenfrauen oder Frauen der Pro Infirmis, beteiligten sich mit Aktionen. Als am Mittag der Platz ziemlich belebt waren, kamen die Turnerinnen vom Eidgen. Turnfest auf der Allmend in schwarzen Glitterkleidern vorbei. Sie fanden es völlig daneben, dass die Frauen streiken, das brauche es doch nicht. Doch wollten auch sie auf die Bühne. Dies ermöglichte eine Vermittlerin in der aufgeheizten Stimmung. «Nach der Darbietung waren alle zufrieden», freut sich Agatha Fausch rückblickend.

Es ist noch viel zu tun

Bis heute ist für sie der 14. Juni ein besonderer Tag. Nach einem Revivel des ersten Frauenstreiks 2011 war sie in der VPOD-Frauengruppe bei den jährlich organisierten Aktionen immer dabei. Besonders freut sie sich über den erfolgreichen Frauenstreik 2019. «Die jungen Frauen sind aufsässig und machen es geschickt. Sie agitieren auf der Strasse und sie arbeiten parallel in den politischen Strukturen. Noch vor den Sommerferien haben sie eine Petition für einen neuen Gleichstellungsbericht eingereicht, der jetzt behandelt wird.» Erneut liess sie sich mitreissen und ging vor zwei Jahren in einer kleinen Gruppe Streiklieder singend durch die Strassen und Läden.

Auch dieses Jahr wird sie am 14. Juni vorbeigehen und «sehen, was entsteht.» Was sind ihre dringendsten Anliegen heute? «Um Armut im Alter zu verhindern, braucht es endlich gleiche Löhne für gleiche Arbeit. Auch muss die Bereitschaft der Betriebe, Frauen mit zwei oder drei Kindern eine Anstellung zu geben, grösser werden, denn leider werden Frauen heute nach dem zweiten, dritten Mutterschaftsurlaub schikaniert, bis sie aufgeben. Weiter wünscht sie sich mehr Unterstützung von den Geschäftsleitungen für die jungen Väter, damit sie dranbleiben und bereit sind, nicht nur einen Papitag, sondern halbe-halbe zu machen. «Frauen sollen im Beruf umsetzen können, was sie gelernt haben und Männer auch Care-Arbeit machen.» - 31.5.2021

monika.fischer@luzern60plus.ch

Agatha Fausch, 79, war Sozialarbeiterin in Meggen, Supervisorin und Dozentin an der Hochschule für Soziale Arbeit Luzern. 2000-2011 vertrat sie die Grünen im Grossstadtrat Luzern. Beim Forum Luzern60plus arbeitet sie bei der Gruppe «Soziale Teilhabe» mit. Die vierfache Grossmutter hütet ihre Enkelkinder und hält sich beim Wandern, Klettern, Rudern fit. Sobald der Schnee geschmolzen ist, möchte sie wieder auf den Pilatus steigen.

Montag, 14. Juni 2021: Feministischer Streik Luzern
„Vorwärts gegen den Rückschritt: Wir kämpfen weiter!“ Der feministische Streik Luzern zeigt auf, was sich punkto Gleichstellung alles tut und steht für die nächsten Schritte ein. 
9.00 Uhr Feministisches Zmorgen (Inseli)
12.00 Uhr Reden, Konzerte, Stände von Organisationen (Theaterplatz)
17.30 Uhr Demo

Weitere Informationen: www.frauenstreikluzern.ch