Auch das macht die Sorgende Gemeinschaft aus: eine junge Frau macht während des Lockdowns Einkäufe für eine ältere Person. 

„Wir kümmern uns!“

Mit der zweiten Corona-Welle ist sie wieder gefragt: die Caring Community. Doch was macht eine „Sorgende Gemeinschaft“ aus? Und wie kann sie, nicht nur in Krisenzeiten, in der Gemeinde gestärkt werden? Beat Bühlmann hat an einer Fachtagung darüber referiert.

Von Beat Bühlmann

Das Netzwerk „Regionales Altersleitbild Sursee“, dem 16 Gemeinden angehören, will die „Sorgende Gemeinschaft“ in der Region stärken. Das Projekt ist eines von zehn Vorhaben in der Deutschschweiz, die im Rahmen von Socius 2 von der Age-Stiftung finanziell unterstützt werden. Zur Auftaktveranstaltung in Schenkon trafen sich Sozialvorsteherinnen und Vertreter von Alterskommission aus den 16 Regionsgemeinden, um das Projekt zu lancieren. Doch was macht eine Caring Community eigentlich aus? Und wie kann die Gemeinde oder eine Region die Sorgende Gemeinschaft stärken? Auszug aus dem Referat „Wir kümmern uns!“.

Sorgekultur vor der eigenen Haustüre

Der Begriff der Caring Community, so versuchte es der deutsche Sozialexperte Thomas Klie auf den Punkt zu bringen, etabliere sich langsam als politisch aufgegriffener Leitbegriff für eine neue Weise, «sozialstaatliche Verantwortung und lokales Engagement miteinander zu verbinden». Dabei steht die Sorge vor Ort, im vertrauten Quartier, im eigenen Dorf im Vordergrund. Die Sorgende Gemeinschaft ist eine Aufwertung des Lokalen, ein Lernfeld im Sozialraum vor der eigenen Haustüre. «Wenn eine Nachbarschaft nicht mehr mitbekommt, ob eine alte Frau noch lebt oder nicht, ob sie die alltäglichen Dinge ihres Lebens besorgen kann, dann fehlt es an der sozialen Aufmerksamkeit», so Thomas Klie.*

Soziale Isolation schadet der Gesundheit

Die Corona-Pandemie hat die gesellschaftlichen Brennpunkte in ein grelles Licht gerückt. Covid-19 hat zum Beispiel die «soziale Isolation vieler betagter Personen noch weiter verstärkt», wie der Zürcher Psychiater Michael Sacchetto-Mussetti sagt. (NZZ, 31.10.2020) Einsamkeit und soziale Isolation schaden der psychischen wie der körperlichen Gesundheit. So verzeichnete die Dargebotene Hand in diesem Jahr einen «dramatischen Anstieg der Suizidalität», vor allem bei den über 65-Jährigen. Die Sorgende Gemeinschaft ist allerdings kein Notfallszenario nur für Krisenzeiten. Wir brauchen sie über Corona hinaus. Denn Individualisierung, Einsamkeit, Bedürftigkeit und Armut können wir nicht mit neuen Impfstoffen aus der Welt schaffen.

Projekte der Zivilgesellschaft unterstützen

Es gibt leider kein fixfertiges Rezept, das wie Betty Bossi immer funktioniert, kein fixes Modell A, B oder C aus dem Katalog der Sorgenden Gemeinschaft. Aber es empfehlen sich immerhin einige Zutaten aus der kommunalen Küche, die dazu beitragen können, dass private Initiativen zur Sorgekultur so schön aufgehen wie ein Apfelkuchen nach Betty Bossi. 

Erstens: Gemeindeverwaltungen haben ihre eigenen Gesetzmässigkeiten, Abläufe und Vorschriften. Wer die Sorgende Gemeinschaft stärken will, muss manchmal auch über den eigenen Schatten springen und der Kreativität Freiraum zugestehen. Bürokratie und langatmige Sitzungen sind Gift für freiwilliges Engagement. Innovative Ideen zulassen, Freiraum gewähren, Partizipation ermöglichen.

Zweitens: Unterstützung anbieten. Zum Beispiel Räumlichkeiten den Freiwilligen unentgeltlich zur Verfügung stellen. Oder ein Kopierer, um Flyer in Umlauf zu bringen. Eine kleine Kasse für Quartieraktivitäten einrichten, um neuen Ideen etwas Schub zu geben. Und vielleicht auch eine Anlaufstelle einrichten, wo sich Projektteams Rat und allenfalls Sachwissen holen können.

Drittens: Zeigen, dass die Gemeinde das Engagement der Zivilgesellschaft schätzt, wie der Anerkennungspreis Quartierarbeit für Pfadi und Blauring. Die Stadt Luzern lädt seit ein paar Jahren die 64-jährigen Frauen und 65-jährigen Männer zum «Zwischenhalt» ein. Was die Jungbürgerfeier für die jungen Stimmberechtigten, ist der «Zwischenhalt» für die die neuen AHV-Rentnerinnen und –Rentner: eine Aufforderung der lustvollen Art, sich weiter am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben in der Gemeinde zu beteiligen.

Und schliesslich viertens: Die Sorgende Gemeinschaft ist kein Millionenprojekt; es braucht dazu keine Zonenplanänderung und Baugespanne. Hilfreich sind hingegen kleinere und grössere Leuchttürme, die ein Beispiel geben für eine solidarische Gesellschaft. Doch ganz gratis ist die Sorgende Gemeinschaft nicht zu haben. So hat die Stadt Luzern den Verein «Vicino Luzern» mit einem Sonderkredit von 4,6 Millionen Franken unterstützt und vor kurzem mit der Genossenschaft Zeitgut eine Leistungsvereinbarung getroffen; für die Jahre 2021 bis 2023 erhält Zeitgut pro Jahr 50 000 Franken.

Ohne digitalen Anschluss ist soziale Teilhabe erschwert

Eine Sorgende Gemeinschaft, so viel ist klar, braucht Vernetzung und Koordination, um die Kräfte zu bündeln. Wo und wie kann ich mich engagieren? Wie werden die vielseitigen Angebote koordiniert und miteinander abgestimmt? Wo findet ein Austausch statt, wo kann ich mich für mein bürgerschaftliches Engagement weiterbilden? Und nicht zuletzt: Wie werden Doppelspurigkeiten und Sandkastenübungen vermieden? Es braucht also digitale Plattformen, um die Angebote in der Gemeinde und in der Region sichtbar zu machen. Und diese Plattformen müssen dann auch bewirtschaftet werden.

Aber ist diese neue Form der Vernetzung auch alterstauglich? Sind Hochbetagte in der Lage, diese Angebote zu nutzen? Zum einen müssen wir darauf bestehen, dass die Hilfsangebote auch analog, also über Telefon oder Flyer zugänglich, Beratungen im persönlichen Gespräch weiterhin möglich sind. Zum anderen müssen wir aber – und das ist die grosse Herausforderung der nächsten Jahre – die ältere Bevölkerung befähigen, Whatsapp, Mails oder Internet zu nutzen. Und sie notfalls mit Support unterstützen. Auch Weiterbildungen, wie sie Pro Senectute Kanton Luzern unter dem Motto «Fokus Digitale Befähigung» anbietet, sind hilfreich. So können Interessierte beispielsweise einzelne Kurse im Live Stream verfolgen. Ohne digitalen Anschluss, das lässt sich heute schon sagen, wird die gesellschaftliche Teilhabe für die ältere Generation stark erschwert sein. – 14.12.2020
Das vollständige Referat

*Thomas Klie: Wen kümmern die Alten? Auf dem Weg in eine sorgende Gemeinschaft. Droemer Verlag München, 2019.

beat.buehlmann@luzern60plus.ch