Renata Asal-Steger am Sitz der römisch-katholischen Landeskirche des Kantons Luzern, im «St. Agnes» am Abendweg in Luzern.

«Wir müssen beharrlich dranbleiben»

Die Pilotstudie zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche hat Renata Asal-Steger stark gefordert: «Das unermessliche Leid der betroffenen Menschen erschüttert und beschämt mich. Ich denke täglich daran.» Deshalb möchte sie zu den strukturellen und kulturellen Veränderungen der Kirche beitragen. Von Monika Fischer (Text und Bild)

Das Treffen mit Renata Asal-Steger, 63, findet kurz nach ihrer Rückkehr von einer sonnigen Ferienwoche im Tirol statt. Ganz erholt sei sie nicht, doch spüre sie die Entlastung nach der Abgabe des Präsidiums der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ). «Wegen Amtszeitbeschränkung», betont sie und sagt: «Ich habe die Arbeit sehr gerne gemacht. Doch war das letzte halbe Jahr enorm arbeitsintensiv und hat auch emotional sehr viel Kraft gefordert.»

Das Ergebnis der Pilotstudie der Universität Zürich zu den Missbrauchsfällen hat sie nicht überrascht, waren doch die Zahlen aus anderen Ländern bekannt. Die Zahlen jedoch schwarz auf weiss zu lesen und Einblick zu haben in konkrete Vorkommnisse, das gehe tief. Sie schildert, wie sie an der Medienkonferenz zur Veröffentlichung der Studie eine lückenlose Aufklärung und kulturelle wie strukturelle Reformen forderte. 

Sie erklärt die weltweit einzigartige duale Struktur der katholischen Kirche Schweiz: «Wir kennen in der katholischen Kirche in der Schweiz zwei Führungslinien, die pastorale und die staatskirchenrechtliche. Auf nationaler Ebene ist die Bischofskonferenz das oberste pastorale, die RKZ das oberste staatskirchenrechtliche Gremium. Die Zusammenarbeit basiert auf unterschiedlichen Aufgaben, Verantwortungsbereichen, Kompetenzen und Rollen.» Doch ist ein Miteinander angesichts der hierarchischen pastoralen Strukturen überhaupt möglich? «Es ist und bleibt eine Herausforderung, die gegenseitigen Respekt, Vertrauen und Dialogbereitschaft verlangt. Wir tragen miteinander Verantwortung für den Bestand und die Weiterentwicklung der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz. Es geht nur im Miteinander.» 

Dieselbe Würde für alle Menschen
Bei spontanen Treffen sprach ich regelmässig mit Renata Asal-Steger über ihre anspruchsvolle Aufgabe als «höchste Katholikin» der Schweiz. Dabei staunte ich über ihre Geduld und ihre klare Haltung auch bezüglich der Forderungen an die Bischöfe.

Woher hat sie die Kraft? Was hält sie noch in dieser Kirche, die regelmässig mit negativen Schlagzeilen auf sich aufmerksam macht und der die Menschen in Scharen davonlaufen? Sie muss nicht lange überlegen: «Die katholische Kirche ist meine religiöse Heimat, weniger die Institution als die Gemeinschaft der Menschen. Es geht mir um die gleiche Würde und die gleichen Rechte für alle und die Werte des Evangeliums: soziale Gerechtigkeit, Einsatz für Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Deshalb ist mir wichtig, drinzubleiben, kann ich doch, wäre ich nicht mehr dabei, nicht mehr mitgestalten und etwas verändern.» Sie verweist auf die Kraft durch den Glauben. Auf das Urvertrauen, dass etwas Göttliches sie trägt, und für sie ein grosses Geschenk ist.

Einsatz für Gerechtigkeit
Sie erzählt von ihrer Herkunft in Ettiswil im Luzerner Hinterland, wo die religiösen Feste des Kirchenjahres intensiv gepflegt wurden. Das hat sie geprägt. Das Dorf in der hügeligen Landschaft gab ihr Geborgenheit, die Weite des Wauwiler Mooses öffnet noch heute ihr Herz. Gerne denkt sie an die Diskussionen vor Wahlen und Abstimmungen in ihrem politischen Elternhaus zurück und lacht: «In unserer Familie mit den beiden erwachsenen Söhnen geht es heute ähnlich zu und her.»

Schon früh litt sie darunter, wenn jemand ungerecht behandelt wurde. Ihr tief verwurzelter Gerechtigkeitssinn führte sie nach der Matura zum Studium der Klinischen Heilpädagogik an der Universität Fribourg. Sie wollte Menschen unterstützen, die es im Leben nicht einfach hatten. Im Schulheim Rodtegg, Luzern, unterrichtete sie als Praktikantin köperbehinderte Kinder, im Schulheim Rütlimattli, Sachseln, schwerst geistig behinderte Jugendliche. Sie spürte jedoch, dass die mit viel Pflegerischem verbundene Arbeit nicht ihrer Berufung entsprach. Die Fragen nach Gerechtigkeit jedoch blieben. Deshalb absolvierte sie an der Uni Bern ein zweites Studium der Rechtswissenschaften und wurde Fürsprecherin.

Auf der Suche
Auf einer Studienreise nach Berlin lernte sie ihren Mann Rolf Asal kennen, damals Studentenseelsorger in Basel und Stadtrat von Freiburg im Breisgau. Wegen dessen politischem Amt wohnte das Paar nach der Heirat in der deutschen Stadt. Renata Asal-Steger hatte jedoch inzwischen bei der Rechtsabteilung des Bildungs- und Kulturdepartementes in Luzern eine Arbeitsstelle gefunden, bei der sie Wissen und Erfahrungen des pädagogischen und des rechtlichen Studiums miteinander verbinden konnte. Deshalb pendelte sie einige Jahre zwischen Wohn- und Arbeitsort hin und her.

Nach der Geburt des ersten Sohnes wohnte sie drei Tage pro Woche in Ettiswil bei den Eltern. Diese hüteten das Kind, während sie arbeitete. Mit der Geburt des zweiten Sohnes wurde ihr das ständige Unterwegssein zu viel. Mit zwei Kindern in einer fremden Stadt brauchte sie neben der Familie noch eine andere Herausforderung. Deshalb nahm sie die Anfrage an und wurde als einzige Ausländerin in den Pfarreigemeinderat der Pfarrei St. Andreas gewählt. Da sie mehr wissen wollte über die Bibel, über Liturgie und andere religiöse Fragen, absolvierte sie einen theologischen Kurs am Institut für pastorale Bildung. 

Ja zur Führungsaufgabe
Im Jahr 2000 liess sich Rolf Asal zum Diakon weihen. «Ich musste als seine Frau zu seiner Weihe Ja sagen vor dem Bischof», sagt sie. 2005 entschied sich die Familie für die Rückkehr in die Schweiz. Für sie war der Zeitpunkt für einen Wiedereinstieg in die Berufsarbeit mit den zwei kleinen Buben ungünstig. Deshalb engagierte sie sich als Freiwillige in der Frauengemeinschaft ihrer Pfarrei St. Maria zu Franziskanern in Luzern bei der Programmgestaltung, dann auch als Pfarreirätin, Lektorin und Kommunionhelferin.

«Dank meinem freiwilligen Engagement wurde ich 2010 als Juristin für den Synodalrat angefragt und bin so in die kirchliche Arbeit hineingewachsen.» Zuerst war sie für die Kirchgemeinden zuständig und wechselte später ins Ressort «Landeskirchliche Instanzen/Bistum Basel». Seit 2012 ist sie Delegierte der RKZ und war von 2020 bis 2023 deren Präsidentin. Sie wollte sich der Herausforderung stellen und als Frau in der katholischen Kirche eine Führungsaufgabe übernehmen.

Kampf für Frauen in der Kirche
Alles scheint unmöglich, bis jemand es tut: Dieser Satz leitet Renata Asal-Steger bei ihrer Arbeit. Trotz oder gerade wegen der negativen Ereignisse ist für sie die Erneuerung der Kirche ein zentrales Anliegen. Sie weiss sehr wohl, dass die gesellschaftliche Bedeutung der Kirche gesunken ist: «Viele Menschen haben keinen Bezug mehr zur Kirche. Es hat eine grosse Distanz, eine Entfremdung, stattgefunden. Die Menschen verstehen die Sprache und Rituale der Gottesdienste und Gebete nicht mehr. Auch ich ertrage gewisse Bilder nicht mehr. Es tut mir körperlich weh, wenn ausschliesslich Männer im Altarraum Gottesdienst feiern.» Sie spricht vom dahinterliegenden strukturellen Problem: «Es geht um Fragen der Macht, der Gewaltenteilung, des Zölibats, der Sexualmoral und der Rolle der Frau.» Deshalb kämpft sie für eine andere Stellung der Frauen in der Kirche. «Frauen wollen die Kirche gleichberechtigt mitgestalten und Verantwortung übernehmen. Es wäre so viel Potenzial da. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Kirche die Talente und Fähigkeiten der Frauen nicht nutzt.»

Sie freut sich, dass sich Kirchenfrauen weltweit vernetzen und für ihre Gleichberechtigung kämpfen. Doch ist es nicht eine verlorene Hoffnung angesichts der Machtstrukturen im Vatikan? Sie bedauert wohl, dass es viel zu langsam gehe und sich viele Frauen aus Resignation und Ermüdung zurückgezogen haben. Doch möchte sie nicht aufgeben: «Ich bin nicht euphorisch, doch Hoffnung besteht, sind doch Kirchenrecht und die Strukturen von Menschen gemacht, also auch veränderbar. Veränderungen werden von unten und nicht von oben kommen. Ich sehe oft das Bild vom Mauerfall vor mir. Plötzlich war es soweit. Wir müssen beharrlich dranbleiben.» Ansätze sieht sie in der Reformbewegung «Allianz Gleichwürdig Katholisch», in der Junia-Initiative, im synodalen Weg der Weltsynode und in der Basisarbeit in den Pfarreien. Und doch wünscht sie sich von den Schweizer Bischöfen mehr Mut, ist sie doch überzeugt: «Glaubwürdigkeit kann die Kirche erst zurückgewinnen, wenn auch die Frauen gleichberechtigt sind.» 

Viel Lust und Energie
So setzt sich Renata Asal-Steger trotz Gegenwind in der Gesellschaft weiterhin überzeugt für die katholische Kirche ein. «Es lohnt sich, für die frohe und befreiende Botschaft des Evangeliums einzustehen. Sie richtet Menschen auf und gibt ihnen ihre Würde.» Sie engagiert sich weiterhin im Synodalrat Luzern und war bereits zweimal deren Präsidentin.

Wichtig ist ihr die persönliche Basisarbeit. Als Präsidentin des Vereins für kirchliche Gassenarbeit Luzern ist es ihr Herzensanliegen, eine Stimme zu sein für Menschen am Rande der Gesellschaft. Als Stiftungsrätin der Fastenaktion hat sie ihr Blickfeld nochmals erweitert und wird mit neuen Fragen konfrontiert. Da ihr sozial-ökologische Themen wichtig sind, macht sie im Vorstand der Christlichsozialen Vereinigung Kanton Luzern (CSV), einer Vereinigung der Mitte-Partei, mit und zeigt auf: «Eine christliche Grundhaltung bedingt ein solidarisches, integratives Miteinander, das jedem Menschen, unabhängig von Geschlecht, Religion, Herkunft, Gesundheit ein menschenwürdiges Leben zugesteht, Sorge trägt zur Natur und verantwortungsbewusst mit unseren Ressourcen umgeht.»

Kraftquellen für ihr vielseitiges Engagement sind neben der Familie und ihren Freundinnen die zwei Wochenenden «Ü30» im Kloster Fahr und der damit verbundene Austausch mit Priorin Irène Gassmann und den jeweiligen Teilnehmenden. Lachend erzählt sie von ihrer Leidenschaft, im Fundus von Brockis und Flohmärkten herumzustöbern. Wohl braucht sie mit zunehmendem Alter mehr Erholungszeit, doch denkt sie nicht daran, sich zur Ruhe zu setzen, im Gegenteil: «Ich brauche die Aussenkontakte und habe weiterhin viel Energie und Lust, mich für die Kirche und die Gesellschaft zu engagieren.»

23. Januar 2024 – monika.fischer@luzern60plus.ch