Wühlen in der alten Schachtel

Von Yvonne Volken 

Und plötzlich müssen wir uns rechtfertigen. Gute Argumente finden und den Vorwurf der "Klimakids" entkräften: Ihr Babyboomers seid schuld. Ihr habt einfach alles schliddern lassen. 

Endlich habe ich die Schachtel wiedergefunden, wo ich die Überbleibsel meiner kämpferischen Vergangenheit aufbewahre. Begraben habe, ist wohl das treffendere Wort, denke ich, während ich den Estrich umräume, Kisten mit alten Schuhen verschiebe, die Schallplattensammlung umbeige und über einen Kofferberg steige. 

"Vorsicht Gold": Wie kam ich bloss darauf, diese Schachtel so anzuschreiben? Eigentlich wollte ich sie beim letzten Estrich-Putz vor 10 Jahren ja wegwerfen. Wer sollte sich denn je wieder für diese T-Shirts mit dem Venussymbol (♀) interessieren oder für alte Ausgaben der "Emma" oder Anja Meulenbelts "Die Scham ist vorüber"? Nun, die Schachtel mit ihrem "goldenen", polit-nostalgischen Inhalt überlebte irgendwie. Ich bin froh darüber. Denn am Freitag ist wieder Klimademo "Fridays For Future" und ich habe Jan, unserem engagierten Nachbarsbuben, angekündigt, dass ich mitdemonstrieren werde.

 Ich solle mich wirklich nicht bemühen, hatte Jan gemeint. Wir Babyboomers seien nicht unbedingt eingeladen. "Chilled doch einfach weiter wie bisher!" Und darum wühle ich nun, mehr grimmig als nostalgisch in der alten Schachtel auf dem kalten Estrich, bei schlechtem Licht! Ich will Jan beweisen, dass auch wir uns engagiert haben und mit selbst gestalteten Transparenten auf die Strasse gegangen sind und gegen Landverschleiss, Gifteinsatz in der Landwirtschaft und für saubere Luft demonstriert haben. Und natürlich "Atomkraft - Nein danke." - "Echt, jetzt?", sagte Jan skeptisch. "Wann war das? Vor 100 Jahren? Genützt hat's jedenfalls nichts." Ausser vielen feministischen Artefakten, finde ich wenig in der ramponierten Schachtel… Da! Wow! Das Peacezeichen in Regenbogenfarben, das ich damals mit einer Freundin emailliert habe und die dazu passenden, selbst geschneiderten Hippiehosen! Aber wo zum Teufel waren diese Anti-Gösgen-Dinger hingeraten, "Atomkraft. Nein danke!"? Ich hatte doch eine richtige Sammlung gehabt, gelbe Knöpfe für alle Ewigkeit. Und das Zeitungs-Foto, wo ich selber deutlich darauf zu erkennen war im grossen Strom der DemonstrantInnen — unauffindbar. Von den Friedensmärschen zu Ostern (ich war bestimmt zwei, drei Mal dabei..) hatte ich offenbar auch kein einziges Flugi aufbewahrt. Ärgerlich! Superdoof!

 Andererseits, ja so richtig "gekämpft" wie zum Beispiel die Greenpeace-Leute, hatte ich tatsächlich nicht. Ich war allerhöchstens ein lernwilliges Schaf in der grossen Herde von "irgendwie Umweltbewussten". Ich habe gelernt, wie man Strom sparend Eier kocht, gebe alte Kleider der Caritas ab, trenne den Abfall, trinke keinen Kaffee mehr aus dem Kartonbecher. Ich besteige seit Jahren kein Flugzeug (Flugangst) und reise immer mit dem ÖV (kein Auto) oder gehe zu Fuss.

 Und jetzt staunst du hoffentlich mal, lieber Jan. Mein ökologischer Fussabdruck sieht nämlich irgendwie super aus. Auf jeden Fall haben sie mir auf der WWF Website gratuliert. "Vorbildlich", steht da. Meine persönliche C02-Äquivalenz liegt nämlich nurbei jährlich 7.4 Tonnen und damit genau 50 Prozent unter dem Schweizer Durchschnitt von 13.5 Tonnen. "Würde die gesamte Weltbevölkerung so leben wie Sie, bräuchten wir 1,7 Planeten.", heisst's auf der Website.

 "Chillen Sie mal, Frau Volken", meinte Jan dann liebevoll am Telefon. Ja, natürlich darf ich mit an die Klimademo. Ich kann ja mit gutem Gewissen hingehen (nur 7.4 Tonnen CO2 pro Jahr), mit halbwegs gutem Gewissen, denn wo sollen wir die 0,7 Planeten hernehmen, die wir brauchen, damit alle so chillig umweltbewusst leben können wie ich. 

 28.März 2019

yvonne.volken@outlook.com

Zur Person:

Yvonne Volken, geboren 1956, hat alle zehn Jahre ihr Berufsfeld radikal verändert, arbeitete als Buchhändlerin, als Journalistin, als Projektleiterin bei der Stadt Luzern, als Literaturveranstalterin und gegenwärtig als Klassenassistentin an einer Primarschule. Ihr ursprünglicher Berufswunsch, Missionarin in Indien, ging nicht in Erfüllung. Heute stellt sie fest: Missionieren kann frau eigentlich überall.