"Das Alter? Ich nehme es, wie es kommt", sagt Kuno Kälin.

"Es lohnt sich, auch für eine Poststelle zu kämpfen"

Er liebt, was andere lieber von sich weisen: Kassabücher führen, Buchhaltungen kontrollieren, Steuererklärungen ausfüllen. Kuno Kälin (66) ist Treuhänder - mit politischem Herzblut. Wer ist dieser Mann aus dem Hinterland, der in der Stadt Luzern Wurzeln geschlagen hat?

Von Beat Bühlmann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Mit Zahlen kann man Kuno Kälin nichts vormachen. Das gilt nicht nur fürs Jassen. Hinter seinem schalkhaften Blick versteckt sich ein Treuhänder aus Leidenschaft. "Ich lebe davon, dass sich andere mit der Steuererklärung schwer tun", sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Ihm bereitet es geradezu Lust, Buchhaltungen zu führen oder Steuererklärungen auszufüllen, je kniffliger, desto besser. Und er kann sich ohne weiteres Telefonnummern und Geburtsdaten merken oder schnell eine IBAN-Nummer lesen.

Treuhänder der alternativen Szene

Kuno Kälin ist ein Zahlenmensch; einer, der sich nicht so schnell ein X für ein U vormachen lässt. Nach der Wirtschaftsmatura und einer Weiterbildung in Finanzbuchhaltung hat er 1988 mit 13 000 Franken Eigenkapital eine Treuhandfirma aufgebaut und sich von seinem angestammten Beruf als Sekundarlehrer verabschiedet. "Der Abschied ist mir leicht gefallen", sagt Kälin, "ich bin kein toller Vermittler von Schulstoffen."  Als Treuhänder übernahm er die Abrechnungen für Arzt- und Psychotherapiepraxen, die Buchhaltungen von Naturärztinnen und Yogalehrerinnen, von Architekten und Grafikern. Kuno Kälin fand damals In der alternativen Szene, die sich mit realen Geldströmen eher etwas schwer tut, seine ideale berufliche Nische.

Doch die Zahlen waren immer mit seinem politischem Engagement verknüpft. Er war Rechnungsführer der vpod-Sektion Luzern, Kassier der Grünen Schweiz und des Mieterverbandes Luzern. Von 2009 bis 2018 hat Kuno Kälin im Vorstand des Quartiervereins Obergrund mitgewirkt, zuerst als Kassier, dann als Redaktionsverantwortlicher des "Obergrund", eine der lesenswerten Quartierzeitungen in dieser Stadt. "Ich hatte den Ehrgeiz, eine attraktive Quartierzeitung zu machen", sagt  Kuno Kälin.

Kleinarbeit hinter den Kulissen

Dreimal im Jahr eine Ausgabe mit 24 Seiten Umfang planen, Artikel bestellen, redigieren, illustrieren, auf den Punkt und in einer Auflage von 4000 Exemplare unter die Leute bringen: das ist enorm viel Kleinarbeit hinter den Kulissen. "Ich habe diese Arbeit sehr gerne gemacht", sagt Kuno Kälin, der als Autor nicht so oft in Erscheinung trat. Er ist kein Mann der Schlagzeilen; keiner, der sich stets in den Vordergrund rücken muss. "Richtschnur unseres Tuns ist und bleibt das Fördern des Gemeinwohls für Quartier und Stadt, die wir gegenüber Behörden und Privaten mit Vehemenz vertreten", hat er in seinem letzten Editorial geschrieben. Das Zitat beschreibt treffend seine politische Grundhaltung.

Kuno Kälin, Jahrgang 1951, ist in Zell im Luzerner Hinterland aufgewachsen. Sein Vater, der aus Einsiedeln stammte, hatte dort 1943 eine Arztpraxis eröffnet. Kuno hat sich allerdings nie am Kirchturm im Dorf orientiert. In der Sekundarschule schrieb er einen Vortrag über Vietnam, 1968 an der Kantonsschule über den deutschen Studentenführer Rudi Dutschke. Er ist, wie er selber sagt, "ein Zeitungsfreak", liest jeden Morgen eine Stunde die Luzerner Zeitung, den Tages-Anzeiger und zeitweilig auch die NZZ. Und er ist stark an Lokalgeschichten interessiert, wie die zahlreichen von ihm organisierten Artikel zu früheren Zeiten im Obergrund belegen.

Kein politischer Schnelldenker

Global denken, lokal handeln: so lautet sein politisches Credo. Für ihn geht es nicht nur um Krieg und Frieden, sondern zum Beispiel um eine Poststelle, die von der Schliessung bedroht ist. "Der erfolgreiche Kampf für die Poststelle im Obergrund ist der schönste Erfolg unseres Engagements im Quartierverein", sagt Kälin. "Es lohnt sich, auch für eine Poststelle zu kämpfen." Gerne erinnert er sich auch an den Einsatz für das Freigleis auf dem alten Trassee der Brünigbahn. "Den letzten Zug haben wir spontan mit Champagner gefeiert."

Während acht Jahren, von 1987 bis 1995, war Kuno Kälin für das Grüne Bündnis im Grossrat (heute Kantonsrat) tätig, davon vier Jahre als Fraktionschef. Doch die handfeste Politik war nicht sein liebstes Metier. "Ich bin gut in der Analyse und kein politischer Schnelldenker", so Kälin. "Das ist ein Manko in der Tagespolitik, denn oft muss man spontan reagieren, dafür fehlt mir das Talent." Vermutlich fehlt ihm auch das ausgeprägte Geltungsbedürfnis, das Männer und Frauen in der politischen Arena vor die Kamera und das Mikrofon treibt.

Doch mit der Politik blieb er hautnah verbunden. Er lebt seit 39 Jahren mit Cécile Bühlmann, der ehemaligen Nationalrätin der Grünen, zusammen. Kam es nie zu Rivalitäten? "Nein, wir haben uns gut ergänzt und ticken politisch sehr ähnlich", sagt Kuno Kälin. "Zudem ist Cécile viel talentierter für die Politik als ich." Er hat während ihrer Zeit im Nationalrat als persönlicher Sekretär die Post erledigt, Briefe mit anonymen Drohungen aussortiert, politisch mitdiskutiert und mitgefiebert, seine eigene Meinung eingebracht, bei parlamentarischen Ausflügen das "Frauenprogramm" mitgemacht. "Das hat mich keineswegs gelangweilt, ich habe spannende Einblicke in völlig neue Welten erlebt."

Ein engagierter Kanapeesportler

Kuno Kälin, inzwischen 66-jährig, hat begonnen, seine geschäftlichen und politischen Engagements zurückzufahren. Er habe keine Mühe mit dem Alt werden. Es bereite ihm auch keine Angst, vielleicht einmal in einem Altersheim zu leben. "Jedenfalls wäre es schön, bis zum Lebensende im vertrauten Quartier zu bleiben." Die Beschwernisse des Alters kennt er aus dem eigenen Alltag. Länger als eine Stunde kann er nicht Zeitungen lesen, weil er dann die Text nur noch verschwommen sieht. Auch das Hörverständnis hat abgenommen, er scheut sich aber nicht, eines Tages ein Hörgerät tragen zu müssen. Und aus "reinen Vernunftsgründen", wie er sagt, hat er angefangen, ein Fitnessstudio zu besuchen.

Aufgrund einer Geburtslähmung musste man ihm mit drei Jahren die zu kurzen Achillessehnen operieren. Zudem musste er im Jugendalter wegen Kniescheibenluxationen mehrmals unters Messer. Mit dem Fussballspielen war es damals vorbei, vom Turnen wurde er dispensiert - und das Tourenskifahren blieb endgültig ein Traum. Dafür sitzt er heute stundenlang bei Sportveranstaltungen vor dem Fernseher. "Ich bin ein angefressener Kanapeesportler", bekennt Kuno Kälin.

Schwerwiegender ist, dass längere Bergwanderungen nicht mehr möglich sind. Auf das Velofahren muss er hingegen nicht verzichten. "Dank dem E-Bike kann ich wieder längere Touren unternehmen." Es ist diese pragmatische Haltung, die das Alter erträglich macht. "Ich nehme es, wie es kommt", sagt Kuno Kälin. Ein wenig Planung muss trotzdem sein. In zwei, drei Jahren will er definitiv mit der Arbeit als Treuhänder aufhören. Auf den flotten Umgang mit Zahlen muss er aber nicht verzichten. Denn diese Kompetenz ist, schöner Nebeneffekt, auch ein Plus beim Jassen. Und da ist Kuno Kälin ganz in seinem Element. Ein Zahlenmensch mit Herz Ass. - 30.6.2018

beat.buehlmann@luzern60plus.ch