Die Auswahl an Informationskanälen ist immer noch gross

Von Judith Stamm

Sie informieren, sie bilden, sie unterhalten uns, die Tageszeitungen. Sie betreiben sozusagen permanente Weiterbildung mit uns. Manchmal frage ich mich, warum ich mir das eigentlich antue, mich jeden Tag diesen Einwirkungen zu unterziehen?  Weil ich das Lesen von Zeitungen interessant finde!

Wo lese ich die Zeitungen? Im Kaffeehaus. Oder in der Bibliothek. In der Bibliothek ist das Angebot am grössten. Aber das nützt mir nichts. Ich bin auf vier bis fünf Tageszeitungen aus der deutschsprachigen Schweiz programmiert. Damit  ist meine tägliche Zeitungslesekapapzität erschöpft. Denn am Morgen habe ich schon kurz auf „News“ im Internet geklickt. Dann will ich ja auch noch die  Nachrichtensendungen am Radio hören. Eine gewisse Aufmerksamkeit verlangen auch die Nachrichten, die in den Bussen der VBL über die kleinen Bildschirme flimmern. Und dann sind da noch gute Bekannte, die „gerade jetzt“ eine Neuigkeit auf ihr Smartphon oder ihre Uhr geliefert bekommen haben. Und diese natürlich grosszügig weitergeben. Denn eine neueste Neuigkeit, die man mit niemandem teilen kann, bevor alle von ihr erfahren haben, ist ja, wie brisant auch immer, gar nichts wert!  Ja, und ganz gelegentlich möchte ich auch noch einmal ein Buch zur Hand nehmen.

Was lese ich in den Tageszeitungen? Das ist amüsant. Ich lese da ein wenig, dort ein wenig, kurze Artikel ganz, lange Artikel flüchtig. Bald sprechen mich die Titel an, die Headlines. Dann gibt es Autoren, die können schreiben, was sie wollen, ich lese ihre Texte immer, genau und sorgfältig. Bewundere die historischen Kenntnisse, den philosophischen Horizont, die Mühelosigkeit, komplizierte Zusammenhänge einfach zu präsentieren. „Der ist einfach gut“ sage ich zu mir oder zu meinen Bekannten. Und werde in meinem Urteil meistens bestätigt.

Es gab Zeiten mit einer grossen Zeitungsvielfalt in unserem Lande, in unserer Region. Man glaubt es heute kaum, aber Luzern hatte einmal drei Tageszeitungen. Aus den Zeitungen, die in den Briefkästen steckten, konnte man vielfältige Schlüsse auf die Geisteshaltung der Abonnenten ziehen. Heute haben wir noch eine Tageszeitung, dafür ein ergänzendes Internetjournal. Und justament in diesen Tagen gibt sich die Zeitung einen neuen Namen und ein neues Layout.  Auffrischen, Erneuern ist immer gut!

Ich kann mich erinnern an die Klagen über die Konzentration der Presse. Immer weniger Zeitungen in immer weniger verlegerischen Händen werde es geben. Manchmal spottete ich über die komfortablen Zustände, die wir haben würden, wenn für die ganze Schweiz nur noch ein einziger Verlag eine einzige Zeitung herausgeben würde. Am besten jeden Tag in einer anderen Landessprache. Wir sind ja sprachengewandt! Dann müssten wir täglich nur noch eine Zeitung lesen! Man stelle sich vor. Diese Zeitersparnis!

Soweit wird es kaum kommen. Traditionelle Informationskanäle wie Zeitungen, Radio, Fernsehen werden neben den neuen Angeboten der digitalen Welt bestehen bleiben, immer mehr oder weniger um ihre finanzielle Existenz kämpfend.

Vorläufig leben wir auch hier noch in der Fülle, im Überfluss, mit einer grossen Auswahl an Angeboten, sozusagen im Luxus. Nutzen wir ihn. Und legen wir die Mosaiksteine unseres Weltbildes jeden Tag wieder neu!
30. September 2016

Zur Person
Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 - 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 - 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 - 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 - 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.