Christoph Stucki: grosse Liebe zur Musik

„Mich interessiert: Was ist existenziell?“

Im Alter von 75 Jahren entschied sich Christoph Stucki, Pfarrer im Ruhestand, seinen Lebensabend in der Altersresidenz Tertianum Luzern zu verbringen. Doch breit interessiert und aktiv ist der 79jährige noch immer. Und er geht den Dingen auf den Grund.

Von Eva Holz (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Eine einschneidende Wende in Christoph Stuckis Leben stellte sich im Herbst 2016 ein, als seine Frau an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankte und nur einen Monat nach der Diagnose verstarb. „Ich musste mein Leben völlig neu überdenken“. 40 Jahre lang war er mit der Biologin und Organistin Beatrice Stucki-Spreng aus Luzern verheiratet. „Das bis anhin bewohnte schwiegerelterliche Haus auf dem Weinbergli war für mich allein zu gross. Wir hatten keine Kinder. Beatrice unterstützte mich kurz vor ihrem Tod in meinem Vorhaben, in ein Wohnheim umzusiedeln. Mitten in ihrer schweren Krankheit war sie sichtlich darüber erleichtert, dass für mich mit dieser Lösung gesorgt war.“ Am 1. Januar 2017 bezog der Witwer eine 2 1/2 -Mietwohnung im Tertianum Luzern.

„Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran, dass die Mitbewohnerinnen und -bewohner im Schnitt fünf bis zwölf Jahre älter sind als ich. Nach wie vor bin ich der Jüngste hier. Doch in den Gesprächen mit ihnen denke ich nicht an ihr Alter. Denn hinter all diesen Menschen steckt eine reiche, oft staunenswerte Lebenserfahrung. Und in den Begegnungen am gemeinsamen Ort wächst in mir immer mehr das Gefühl des Miteinander-Vertrautseins.“ Das Tertianum sei für ihn zu einem Zuhause geworden. Für den seit jeher vielseitigen Menschen gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich hier einzubringen. So gestaltete er bislang ökumenische Gottesdienste mit oder gab als Flötist kleine Konzerte. Und erst vor kurzem ging im Haus sein dreiteiliger Powerpoint-Vortrag über Giovanni Segantinis Triptychon „Werden – Sein – Vergehen“ über die Bühne.

„Ich kann mich gut von Dingen trennen."

Der Rundgang durch seine Wohnung mit Sicht auf den See und das Verkehrshaus verrät auf einen Blick, dass Christoph Stucki auch im Ruhestand äusserst aktiv ist: mehrere Büchergestelle an den Wänden, Dokumente links und rechts des Computers, Bücherbeigen und Fachjournale auf den Tischen, eine CD-Sammlung mit klassischer Musik in einem Gestell, das bis zur Decke reicht. „Aber die Küche wird kaum gebraucht“, schmunzelt er und zeigt in den hinteren Teil der Wohnung. „Im Mietzins ist das Essen inbegriffen, und ich schätze das regelmässige Zusammenkommen mit den andern sehr.“ Seine rund 3500 Bücher aus den Bereichen der Theologie, der Philosophie sowie der Geschichte der Religionen, der Politologie bis hin zur deutschen Literatur und zur Kunstgeschichte hat der pensionierte Pfarrer vor dem Umzug auf rund 1700 Titel reduziert. Mitgekommen sind auch seine Lieblingsbilder, Gemälde aus dem Engadin zum Beispiel, wo er oft mit seiner Frau unterwegs war. „Ich kann mich gut von Dingen trennen und auf neue Begebenheiten einlassen“, sagt er. „Entscheidend war bei der Bücherreduktion die Frage: Was ist für mich existenziell?“. 

„Existentiell“ – der Begriff taucht im Gespräch immer wieder auf. Denn darauf kommt es ihm an: Welches Erlebnis, welche Erkenntnis, welche Bedeutung prägen sich einem Menschen im Lauf der Zeit ein? Was war wirklich von existentiellem Gewicht, wenn man auf das eigene Leben zurückblickt? Unter dieser Prämisse habe er immer gepredigt und seelsorgerische Gespräche geführt, Vorträge gehalten, – und mit diesen Fragen gehe er auch durch seinen persönlichen Alltag. „Man kann als Redner viele lebensrelevante Erkenntnisse weitergeben respektive als Zuhörer erfahren; letztlich geht es doch darum, der Essenz auf die Spur zu kommen.“ – Beispiel: Noch immer trifft er sich mit einem Freund zur „Diskothek zu zweit“ in Basel: Gemeinsam analysieren sie dann Kompositionen auf ihren Aussagegehalt hin und vergleichen die entsprechenden CD-Interpretationen.

Einblick in Freud und Leid menschlichen Lebens

Christoph Stucki wurde 1941 in Riggisberg BE geboren. Hier verbrachte er zusammen mit zwei Geschwistern nach eigenen Worten eine schöne, erfüllte Kindheit und Jugendzeit. „Das Elternhaus vermittelte mir einen wertvollen, aufbauenden Einblick in Freud und Leid menschlichen Lebens, beherbergte es doch einerseits die ärztliche Land­praxis meines Vaters und war anderseits ein Ort der musikalischen Begeg­nung. Diese beiden Aspekte des Elternhauses kamen in der beruflichen Tätigkeit meiner Mutter als einer diplomierten Violinlehrerin und als Mitarbeiterin in der Arztpraxis meines Vaters zusammen“.

Zunächst studierte er drei Jahre Germanistik, Latein und Musikwissenschaft an der Universität Zürich (1960-1963), wechselte dann aber zu Theologie an den Universitäten Zürich und Göttingen (1965-1971). Schon zu Beginn seines Lernvikariates war an ihn die Berufung als Gemeindepfarrer des Sprengels Willisau der Evangelisch-Reformierten Kirchgemeinde Willisau-Hüswil ergangen. „Im Juni 1972 wurde ich in Willisau durch den Präsidenten des Synodalrates, Peter Spreng, meinem späteren Schwiegervater, als Gemeindepfarrer eingesetzt.“ Später arbeitete er als Gemeindepfarrer in Zug sowie in der Armeeseelsorge als Feldprediger im Rang eines Hauptmanns, zuletzt als Protestantischer Feldprediger-Dienstchef der Armee. Nach seinem Umzug aufs Weinbergli in Luzern im Sommer 2003 übernahm er wiederholte Male Pfarramtsstellvertretungen in der Stadt Luzern. Stucki war nebst vielem anderem zwanzig Jahre lang als Indonesienreferent der Schweizerischen Ostasien-Mission tätig und erarbeitete sich dabei die Grundlagen für seine Vortragstätigkeit im Bereich der Weltreligionen. Seit 17 Jahren betreibt er in vorgezogener Pension freies theologisches Schaffen.

Nebst der regulären Gemeindearbeit ging Stucki mit der Zeit auch gesamtkirchliche Verpflichtungen ein. So war er während vier Jahren Präsident des Evangelisch-Reformierten Pfarrkapitels des Kantons Luzern, während fünf Jahren Sekretär des Zentralschweizerischen Reformierten Pfarrkapitels und ebenfalls während fünf Jahren Präsident der Theologischen Arbeitsgemeinschaft im Lavaterhaus in Zürich.

Unvergesslich: das Reden von Mensch zu Mensch

Welche Erlebnisse aus seiner Tätigkeit als Pfarrer und Vortragender werden ihm unvergesslich bleiben? „Ganz einfach zusammengefasst:  das Reden von Mensch zu Mensch, welches sich wie ein roter Faden durch alle meine Jahre zieht. Die Freude, Mut zuzusprechen, die Art und Weise, den richtigen Ton zu finden und damit bei den Menschen anzukommen. Bestimmt hat das mit meiner Kommunikationsfähigkeit zu tun, die mir von den Eltern in die Wiege gelegt wurde.“ Immer wieder gehörten auch traurige und berührende Momente dazu, denen er sich als Seelsorger stellen musste – und die für ihn in besonderem Masse in die Tiefe geistig-seelischer Existenz reichten. 

„Fast so wichtig wie die Begeisterung für meinen Beruf ist meine Liebe zur Musik und mein jahrelang aktiv-konzertierendes Querflötenspiel“, betont Christoph Stucki. Und nicht zu vergessen: „der wunderbare, intensive Kontakt zu meinen drei Göttikindern!“ 

Welchen Tipp gibt er Seniorinnen und Senioren 60 plus mit? „Wenn ich  gefragt werde, wann man sich Gedanken über die Wohnform im Alter machen soll, antworte ich immer: Das muss sehr frühzeitig geschehen, spätestens ab dem 65. Lebensjahr – auf jeden Fall in einer Zeit, da man gesellschaftlich noch vernetzt ist und soziale Beziehungen pflegt, zu denen man bis weit ins Alter hinein Sorge tragen soll.“

  21.August 2020 - eva.holz@textbueroholz.ch