Corona: Verschwörungserzählungen versus glaubwürdige Ursachen 

Von Cécile Bühlmann

Kurz nach Ausbruch der Corona-Krise schrieb mir eine Bekannte, wie ich eigentlich die ganze Geschichte beurteile. Sie vermute einfach ein anderes Interesse hinter diesem weltweiten Lockdown – im besten Fall die Installation eines neuen Finanzsystems. An die schlimmeren Fälle möge sie gar nicht denken.

Ziemlich alarmiert reagierte ich postwendend und schrieb ihr zurück, dass ich gar nichts anfangen könne mit solchen Vermutungen, dass hinter dem Lockdown irgendwelche Leute mit dunklen Interessen stehen könnten. Ich fragte sie, wer denn ihrer Meinung nach das sein solle und wie sie sich die Organisation eines solchen heimlichen Plans vorstelle? „Sorry, aber tönt etwas gar nach Verschwörungstheorie“, war mein Fazit.

Ich schickte ihr zwei Artikel, die mir für die Entstehung von Covid 19 hingegen plausibel erschienen. Sie weisen auf den Zusammenhang zwischen der Globalisierung und der Entstehung von Seuchen hin. Dazu muss ich kurz ausholen: Der eine Artikel erläutert, dass viele Erreger von Infektions­krankheiten von Tieren stammen und dass bei der Übertragung auf den Menschen die Zerstörung von Lebensräumen eine zentrale Rolle spiele. Durch die immer massivere Abholzung der Wälder und die wachsende Urbanisierung erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass Wildtiere in engen Kontakt mit Menschen kommen und sich so Mikroben, die in Wildtieren leben, auf Menschen übertragen und in tödliche Krankheitserreger verwandeln können.

Der andere Artikel legte den Fokus auf den Zusammenhang mit der Industriellen Landwirtschaft. Diese dringt weltweit in die letzten Urwälder ein. Viele der neuen Krankheitserreger, die zuvor in den Waldökosystemen gebunden waren, werden durch Abholzung freigesetzt und bedrohen die ganze Welt. Durch die Züchtung und Massentierhaltung werden zudem vorhandene Immunschranken beseitigt. Eine große Tierpopulation fördert also die Übertragung von Krankheiten und beeinträchtigt die Abwehrkräfte des Immunsystem. Die Agrarindustrie lebt von der Massentierhaltung und von Monokulturen. Das müsste grundlegend geändert werden. Durch die Förderung der Artenvielfalt bei Tieren und Pflanzen, den Stopp der Abholzung und eine kleinräumige und vielfältige Produktion könnten unkontrollierte Infektionen eingedämmt werden. Machen wir aber so weiter, drohen uns immer neue Pandemien.

Vor ein paar Tagen traf ich diese Bekannte an einer Veranstaltung wieder und wir kamen ins Gespräch. Ob sie die Artikel gelesen habe, fragt ich sie. Ja schon, sie seien interessant, aber sie frage sich halt immer noch, ob hinter der Coronakrise nicht doch mächtige Leute stehen würden, die ein Interesse daran hätten, die Menschheit manipulieren und kontrollieren zu können. Auf meinen Einwand hin, dass ich kein Verständnis habe, dass sie als aufgeklärte gut ausgebildete und gut informierte Frau solchen Verschwörungserzählungen auf den Leim gehe, meinte sie, sie stelle ja nur Fragen.

Drei Tage später hissen in Berlin sogenannte Coroangegner Naziflaggen und versuchen in den Bundestag einzudringen. An der Demo nahmen auch Leute teil, die einfach nur die Frage stellen, ob nicht hinter den Coronamassnahmen Gegner der Demokratie am Werk seien, die ihnen ihre Freiheit nehmen wollten. Ich finde es zum Verzweifeln, wie weltfremd und naiv sich Verschwörungserzählerinnen mit Rechtsextremen gemein machen, ohne sich bewusst zu sein, dass es genau diese sind, die die Demokratie ernsthaft in Gefahr bringen! Da müssen doch die Alarmglocken läuten! Wo ist denn der aufklärerische Geist des selber Denkens geblieben? Angesichts solcher Demo-Bilder und aufgeheizter hasserfüllter Voten bin ich einfach nur ratlos!  - 3.9.2020

cecile.buehlmann@luzern60plus.ch

Zur Person: 
Cécile Bühlmann, geboren und aufgewachsen in Sempach, war zuerst als Lehrerin, dann als Beauftragte und als Dozentin für Interkulturelle Pädagogik beim Luzerner Bildungsdepartement und an der Pädagogischen Hochschule Luzern tätig. Von 1991 bis 2005 war sie Nationalrätin der Grünen, 12 Jahre davon Präsidentin der Grünen Fraktion. Von 2005 bis 2013 leitete sie den cfd, eine feministische Friedensorganisation, die sich für Frauenrechte und für das Empowerment von Frauen stark macht, von 2006 bis 2018 präsidierte sie den Stiftungsrat von Greenpeace Schweiz. Sie ist Vizepräsidentin der Gesellschaft Minderheiten Schweiz GMS. Seit anfangs 2014 ist Cécile Bühlmann pensioniert und lebt in Luzern.