Anstoss

Der alte Mann und das Privatmuseum

Von Hans Beat Achermann

Ich sehe das Bild vor mir, erschienen in den CH-Medien, also auch der «Luzerner Zeitung»: Da sitzt dieser alte Mann in seinem unterirdischen Gemach, acht tageslichtlose Räume, Hunderte Quadratmeter, Hunderte Bilder und Zeichnungen an den Wänden, kunstlichtbeleuchtet. Da sitzt er also, allein oder manchmal mit seiner Frau oder einem seiner vier Kinder, freut sich an der gemalten Schönheit eines vergangenen Alltags, wärmt seine Seele an den Gemälden, die sein Anker sind in einer ihm fremdgewordenen globalisierten Welt. Ein Populist ohne Volk. Und vielleicht stellt er sich ab und zu Fragen, die ich mir stelle, wenn ich mir diesen behäbigen Rentner in seinem Kunstbunker vorstelle, der dort ganz allein auf ein Kulturerbe schauen darf, das er mit vielen Millionen zusammengekauft hat. Warum nennt er diese Sammlung Museum, wenn doch ein Museum per definitionem «eine dauerhafte Einrichtung (ist), die keinen Gewinn erzielen will, öffentlich zugänglich ist und im Dienst der Gesellschaft und deren Entwicklung steht»? Ist er nicht – wie in den Bergen über einen Stein – über den Widerspruch gestolpert, der im Begriff Privatmuseum steckt? Wieso lässt er das Volch, das für ihn immer in seinem politischen Wirken mindestens in der Rhetorik zuoberst stand, wieso bleibt dieses Volch aussen vor, darf keinen Einblick erhalten in ein national (und zum Teil international) bedeutsames Kulturgut? Vielleicht fragt sich der alte Mann auch: Wieso wurden mir im Gespräch über Kunst, Reichtum und Tod in der «Luzerner Zeitung» all diese Fragen nicht gestellt? Wusste er keine Antwort, er, der doch nie um Antworten verlegen war?

Weitere Fragen könnten mögliche Antworten liefern: Ist es der Trotz eines alternden National-Konservativen, der gemerkt hat, dass seine Zeit und sein Einfluss sich zu Ende neigen, der immer funktionierte nach dem Prinzip: «Denen zeig ich’s» und der jetzt denkt: «Denen zeig ich’s nicht!» Oder hat der oft als Volkstribun beschimpfte nicht verstanden, dass Volkstribune in der Antike die Interessen des gemeinen Volkes, der Plebejer, wahrzunehmen und der Öffentlichkeit zu dienen hatten? Oder fühlt er sich als Retter und Schützer, der Angst hat vor linken Bilderstürmern? Oder will er im Privaten vormachen, wie Abschottung geht? Oder ist es simpler: «Hier kann ich nochmals Macht ausüben, Macht über 600 Kunstwerke von Anker, Hodler, Giacometti und andern, die ganz allein mir gehören, unteilbar bis zu meinem Tod, die können von niemandem abgehängt oder abgewählt werden.»

Es bleibt zu hoffen, dass seine Erben vielleicht einmal das Kunsterbe wieder an die Oberfläche bringen, in ein Museum, das diesem Namen gerecht wird und das dann die vom reichen Mann viel beschworene Volksnähe auch beweisen würde. Dann könnten auch noch viele andere daran teilhaben, was Ankers Bilder ihm sagen: «Siehe, die Welt ist nicht verdammt.» Aber zurzeit ist sie noch verdammt ungerecht.

5. Juni 2021

hansbeat.achermann@luzern60plus.ch