Einsamkeit ist noch immer ein Tabu, deshalb müssen wir darüber reden.

 „Ich bin Mensch ohne Seele“

Der Dokumentarfilm „Einsamkeit hat viele Gesichter“ von Romana Lanfranconi behandelt behutsam ein schwieriges Thema: Sieben ältere Frauen und Männer berichten von ihrer Einsamkeit.

Von Beat Bühlmann (Text) und Luzius Wespe (Bild)

Der Dokumentarfilm dauert nur gut dreissig Minuten; er ist kein Spielfilm fürs grosse Kino. „Einsamkeit hat viele Gesichter“ versteht sich als Sensibilisierungsprojekt, das ein oft verschwiegenes Thema aufgreifen will. „Ich habe nach der Pensionierung realisiert, dass ich einsam bin, nicht einfach nur allein“, sagt die ehemalige Coiffeuse Carmen Combertaldi. Sie ist eine von sieben Personen, die in prägnanten Kurzporträts offen von ihrer schwierigen Lebenssituation erzählen.

Einsamkeit macht krank

Der Anteil der Personen über 65 Jahren, die sich oft (oder zuweilen) einsam fühlt, liegt gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung bei etwa einem Drittel. Die Pensionierung, also der Abschied von der Arbeitswelt, von Kolleginnen und Kollegen, kann eine der Ursachen sein, die in die Einsamkeit führen. Oder die Krankheit der Ehefrau, wie wir im Film von Marcel Senn erfahren: „Ich möchte mit meiner demenzkranken Frau über etwas reden, was ich am Radio gehört habe, aber das geht halt einfach nicht.“ Einsamkeit hat viele Facetten.

Das soziale Netzwerk wird im Alter kleiner, die eigenen gesundheitlichen Beschwerden grösser. Schwerhörigkeit, Sehschwäche oder eine eingeschränkte Mobilität können in die Isolation führen. Alleinsein muss allerdings nicht Einsamkeit bedeuten. Doch wenn wir das Gefühl haben, nicht dazuzugehören oder nicht gebraucht zu werden, kann Einsamkeit krankmachen. Davon berichtet eindrücklich Mohammed Malla, der 1994 als syrischer Asylbewerber in die Schweiz kam und sozial isoliert in seinen vier Wänden lebt. Er ist nur über das Internet und sein Smartphone mit der (fernen) Aussenwelt verbunden. „Ich bin schon lange allein, nun habe ich Angst vor sozialen Kontakten“, sagt Mohammed Malla. „Ich bin Mensch ohne Seele.“

Über Einsamkeit reden  

Die Einsamkeit hat, wie der Film behutsam zeigt, viele Gesichter – und unterschiedliche (Lebens-)Geschichten. Zu Wort kommen bewusst keine Expertinnen oder Experten. Der kurze Dokumentarfilm will vielmehr ein verschwiegenes Thema, das noch immer mit Scham behaftet ist, aufgreifen und zur Diskussion stellen. Zum Beispiel als Einstieg für Veranstaltungen und Tagungen, für Podiumsgespräche und Weiterbildungen. Und natürlich auch für die eigene Sensibilisierung, um rechtzeitig der Einsamkeit vorzubeugen. Es soll Personen dazu anregen, sich frühzeitig mit dem Thema zu beschäftigen und eigene Ressourcen zu stärken. Der Film will, so steht es im Projektbeschrieb, „durch seinen präventiven Charakter die psychische Gesundheit der älteren Menschen frühzeitig fördern, ihre Resilienz stärken und das Thema Einsamkeit gesellschaftlich enttabuisieren“.

Der Dokumentarfilm sowie eine 20-seitige Begleitbroschüre können ab dem 30. Juni 2021 unentgeltlich über www.einsamkeit-gesichter.ch abgerufen oder bei der Geschäftsstelle der FFG-Videoproduktion bestellt werden. Herausgeber ist der Verein Familien- und Frauengesundheit, der seit über 10 Jahren besteht und inzwischen sechs Sensibilisierungsprojekte lanciert hat. So auch das Projekt „Geschwisterkinder – Geschwister von Kindern mit einer Behinderung oder Krankheit“, das 2019 lanciert und inzwischen über 280 000 Personen erreicht hat. Der Film zur Einsamkeit wird von zahlreichen Kantonen sowie verschiedenen Stiftungen unterstützt. – 29.6.2021

beat.buehlmann@luzern60plus.ch  

www.einsamkeit-gesichter.ch

www.ffg-video.ch