Judith Stamm. Foto: Joseph Schmidiger

Bilder

Alle Menschen sind umgeben von Bildern. Gesammelt, gekauft, aufbewahrt. Doch welche überleben einen allfälligen Umzug in eine Altersinstitution? Unsere Kolumnistin Judith Stamm macht sich darüber so ihre Gedanken.

Von Judith Stamm

Wohin gehe ich mit meinen Bildern, wenn ich einmal von meiner geräumigen Wohnung in eine Altersinstitution umziehe? Falls mir das in meinem Leben beschieden sein sollte. Dabei handelt es sich nicht um eine Kunstsammlung, für die ein Museum eine würdige Bleibe wäre. Was für Bilder sind es denn, die sich an meinen Wänden während meines Lebens zusammengefunden haben? Ich bin selber erstaunt, was mich alles von meinen Wänden herunter anschaut, anlacht oder mir auch eine ernsthafte Botschaft zusendet.

Die letzte Kunstkarte, die ich kaufte und in ein Rähmchen steckte, ist das Selbstbildnis von Arnold Böcklin (1827-1901) mit dem fiedelnden Tod im Hintergrund. 1872 wurde es gemalt. Mir gefällt daran, dass der Maler mit ernsthaft konzentrierter Miene, aber in keiner Weise ängstlich, darauf hört, was ihm der fiedelnde Tod ins Ohr flüstert.

Überblick

Was immer mir gefiel, habe ich als Kunstkarte aufbewahrt, aus Zeitschriften ausgeschnitten, als Fotografien vergrössert, als Ankündigungsplakat von Kunstausstellungen bestellt. Abstimmungsplakate, das fällt mir erst jetzt auf, besitze ich nur eines. Und erst noch in verkleinerter Form.

Ich gehe herum, weil ich herausfinden will, ob eine «tragende Idee» hinter den Bildern stecke, die eine Verbindung zwischen allen schaffe.

Luo Ping (1733 – 1799) ein bedeutender Vertreter der späteren chinesischen Malerei, war im Frühling/Sommer 2009 im Museum Rietberg in Zürich unter dem Titel «Visionen eines Exzentrikers» ausgestellt gewesen. Er hat Hanshan und Shide gemalt, welche zwei beliebte exzentrische Gestalten des Chan-Buddhismus gewesen seien. Auf meinem Plakat findet sich der eine von beiden, welche für die Überzeugung des Malers stehen, «dass ein fröhliches Gemüt in Familien, Staat und Gesellschaft Glückseligkeit stiftet». Wenn ich in das Gesicht des Abgebildeten schaue, glaube ich das aufs Wort! Auch nach langen Jahren in der Politik!

Im selben Zimmer hängen, in gehöriger Distanz, drei alte Stiche vom Rütli. Es sind Landschaften und eine Darstellung des Rütlischwures. Natürlich, der erste August naht, da wird dann ein Moment des Beschauens angebracht sein.

Den Gegensatz zu diesen eher kleinen Bildern finde ich in den Plakaten, die im Entrée hängen. Da hat doch ein Grossverteiler einmal für sein ofenfrisches Brot geworben, indem er es wie einen prächtigen Vollmond in der Abenddämmerung hinter der Silhouette eines Münsters aufsteigen liess. Umwerfende Wirkung des Bildes! Dass es den Brotverkauf angekurbelt hätte, nehme ich nicht an.

Das Feld aber beherrscht hier «Der arme Poet» von Carl Spitzweg, in seinem Dachkämmerchen. Dieses Plakat in Weltformat begrüsst mich immer beim Nachhausekommen. Und jedes Mal bedanke ich mich dafür, dass es bei mir nicht durchs Dach regnet und dass ich mein Leben nicht als arme Poetin in ähnlich prekären Verhältnissen verbringen muss.

Selbstverständlich findet sich auch die Darstellung einer alten Dame mit einem kleinen Roboter an der Seite, der ihr in einer Schüssel den Kuchenteig rührt. Da schalte ich immer einen intellektuellen Stopp ein und denke an meine Mutter. Vor vielen, vielen Jahren kaufte ihr mein Vater einen Mixer mit Zubehör, der frisch auf den Markt gekommen war. Ich denke, die Handhabung und Pflege des Mixers gestaltete sich einfacher. So ein Roböterlein meldet doch sicher seine Ansprüche an!

Natürlich gibt es auch Fotografien an den Wänden. Ein Familienbild, das zum 50. Geburtstag meines Vaters aufgenommen wurde, spricht mich heute noch an. Und an die Halskette, die ich damals trug, erinnere ich mich noch sehr gut.

Auswahl

Und jetzt die Frage: Was aus diesem vielfältigen, unterhaltsamen Sammelsurium möchte ich einmal mitnehmen? Plötzlich wird mir die «tragende Idee» bewusst. Jedes Bild spricht mich auch heute noch an, erscheint mir lebendig, ruft tausend Erinnerungen wach. Durch die Bilder bin ich von meinem vergangenen Leben umgeben. Ob es da nicht eine kluge Idee wäre, gar keines der Bilder in eine neue Situation, wie sie das Verlassen der angestammten Wohnung bedeutet, mitzunehmen? Diese Lösung scheint mir etwas radikal zu sein. Da muss ich zuerst intensiv darüber nachdenken. Zum Glück bleibt dafür noch Zeit.

 

Zur Person
Judith Stamm, geboren 1934, aufgewachsen und ausgebildet in Zürich, verfolgte ihre berufliche und politische Laufbahn in Luzern. Sie arbeitete bei der Kantonspolizei und bei der Jugendanwaltschaft, vertrat die CVP von 1971 - 1984 im Grossen Rat (heute Kantonsrat) und von 1983 - 1999 im Nationalrat, den sie 1996/97 präsidierte. Sie war 1989 - 1996 Präsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen und 1998 - 2007 Präsidentin der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft.