Kurt Aeschlimann mag es, Alltags-Themen für eine Gesprächsrunde vorzubereiten. Foto Eva Holz

«Aus meiner Sicht darf man ruhig von Tagesritualen reden»

Die reformierte und die katholische Kirche der Stadt Luzern bieten gemeinsam das ERZÄHLCAFE an. In lockerer Runde berichten Teilnehmende über ihre Erfahrungen zu einem vorgegebenen Thema. Jüngst ging es um Rituale.  Kurt Aeschlimann (79), der die Runde abwechselnd mit Isabelle Bally leitet, beschreibt hier seinen persönlichen Zugang zu Ritualen und was er aus der Gesprächsrunde darüber gehört hat.

Aufgezeichnet von Eva Holz

«Familientraditionen, Bräuche und Rituale gehen oftmals Hand in Hand. Etwa wenn Mutter oder Vater sonntags mit Liebe einen Zopf backt, wenn Kinder an Silvester Blei giessen oder an Ostern Eier getütscht werden. Natürlich haben Rituale – streng gesehen – einen tieferen Sinn und sind in vielen Fällen religiöser Art.

Rituelle Handlungen sind wichtig, speziell für Kinder und ältere Menschen. In bestimmten Situationen geben sie uns Sicherheit, vermitteln Ordnung und bewirken auch eine Beruhigung. Nicht zu verwechseln mit der Sitte. Diese ist eine unumstössliche Selbstverständlichkeit, der moralische Werte zu Grunde liegen. Dabei denke ich etwa an spontane Hilfe bei einem Unfall oder der Unterstützung von Verwandten. Die Sitte untersteht zudem sozialer Kontrolle.

Aus meiner Sicht darf man ruhig von Tagesritualen reden, denn sie geben ebenfalls Struktur und machen, dass wir uns aufgehoben und sicher fühlen: aufstehen, ins Bad gehen, anziehen, frühstücken, Bett auslüften. Im Erzählcafé war da auch einiges zu hören, das an früher Zeiten gemahnte. Eine Frau erinnerte sich, dass es bei ihnen zuhause klar vorgegeben war, wer zuerst ins Bad ging, nämlich die Mutter, und dass Samstagabends jeweils die ganze Familie nacheinander im gleichen Wasser badete, allen voran der Vater. Sauber gewaschen und artig gekämmt, trug man dann sonntags die guten Kleider. Sich darauf zu freuen, war ja auch schon ein kleines Ritual.

Eine andere Teilnehmerin in der Runde beschrieb sehr schön, wie sich während eines Sprachaufenthaltes im Ausland jeweils die erste morgendliche Begegnung mit ihrer Land-Lady abspielte. Jeden Morgen sei die Dame vom Frühstückstisch aufgestanden, habe mit ausladender Geste das Fenster geöffnet, auf das Meer hinausgeschaut, tief durchgeatmet und gesagt: C’est magnifique!

Ich selber empfand es nicht als Zumutung, als junger Schüler die Lehrperson jeweils stehend zu begrüssen. So wussten wir: Jetzt beginnt der Unterricht, jetzt heisst es aufpassen.

Am Tisch gibt es einige Rituale, welche letztlich auch mit Sitte zu tun haben. Einen guten Appetit wünschen, anstossen, sitzen bleiben. Allerdings hat sich die Vorstellung von Anstand im Lauf der Zeit gewandelt. Im Mittelalter wurden die Knochen zum Zeichen des Sattseins in den Raum geworfen, es wurde genüsslich geschmatzt und gerülpst und der Mund wahrscheinlich nicht abgewischt wie heute.

Ein verloren gegangenes Ritual bei den Herren ist das Hut ziehen, man sieht ja auch fast keine Hüte mehr. Früher gab es kaum Männer, die keinen Hut aufgesetzt hatten. Diesen zu heben als Gruss, war eigentlich eine schöne, edle Geste. Geblieben ist jedoch bei den Männern das Ritual oder die Sitte, sich in der Kirche die Kopfbedeckung zu entfernen.

Am Tisch und vor dem Schlafen zu beten, wird heute sicher noch von einigen praktiziert, ist aber längst nicht mehr so verbreitet wie vor Jahrzehnten.

Vielerlei Rituale sind mit einer Beerdigung verbunden, obwohl die Trauernden heute sehr individuell damit umgehen. In unserer Erzählcafé-Runde mochten sich einige an die selbstverständliche Aufbahrung der Toten im Daheim sowie an die feierlichen Trauerzüge mit Leichenwagen und Musikkapelle durchs Dorf oder gar die Stadt erinnern. Ein Mann aus Ex-Jugoslawien erzählte uns, wie für ein Begräbnis jeweils das ganze Dorf unterwegs gewesen sei und man nach der Trauerfeier in der Kirche Käse, Brot und Knoblauch gegessen habe, um das Böse abzuhalten.

Wenn ich mir überlege, welches Ritual aktuell für mich das Wichtigste ist, dann würde ich sagen: ein spannendes Kartenspiel nach jeder Mahlzeit.»

 


Erinnern - Erzählen - Zuhören. Erzählcafés in Luzern.

Die katholische und reformierte Kirche Luzern organisiert gemeinsam Erzähl-Runden. Eingeladen sind Frauen und Männer ab 55 Jahren. Die Themen der Treffen sind in sich abgeschlossen. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Es gibt eine kurze Pause mit Kaffee oder Tee und einem Znüni. Der Austausch findet einmal im Monat statt, abwechselnd im Pfarreihaus St. Karl (Spitalstrasse 93) und im Myconiushaus (St. Karlistrasse 49). Die Treffen werden geleitet von Isabelle Bally, Pfarrei St. Karl, und Kurt Aeschlimann, Gemeindezentrum Myconiushaus. Die bestehende Gruppe würde sich über neue Erzählerinnen und Erzähler freuen und ist gespannt auf deren Geschichten.

Weitere Informationen: Tel. 041 229 94 00

Das kommende Thema am Montag, 13. Juni  9 bis 11 Uhr im Pfarreihaus St. Karl: Diese Kinderspiele bleiben mir in Erinnerung