Noch sind die Vorlesungen an der Seniorenuniversität nicht so gut besucht wie vor der Corona-Pandemie. Bild: zvg

«Weiterbildung darf nicht mit der Pensionierung aufhören»

Seit 25 Jahren stärkt die Seniorenuniversität Luzern mit einem vielseitigen Studienprogramm die geistige Fitness im Alter. Das Jubiläum steht indessen im Schatten der Corona-Pandemie: Die Mitgliederzahl ging stark zurück. Sorgt die Digitalisierung für Aufschwung?Von Beat Bühlmann

Seit ein paar Tagen liegt das Studienprogramm für das Herbstsemester auf meinem Pult. Das Angebot auf 120 Seiten ist ansehnlich: 38 Vorträge, 35 Seminare, 8 Exkursionen, Lesezirkel und Sprachkurse. Beim ersten Durchblättern treffe ich mit gelben Post-its eine Vorauswahl, einige mit Ausrufezeichen – dann folgt die Qual der Wahl. Die Versuchung ist gross, sich auf (allzu viele) neue Wissensgebiete vorzuwagen. Warum nicht? Die Neugierde hilft, im Alter lebendig zu bleiben.

Die geistige Fitness stärken
«Weiterbildung darf nicht mit der Pensionierung aufhören», sagt Michel Hubli, Präsident der Seniorenuniversität Luzern. Seit 25 Jahren verfolgt die «Seniorenuni» «das Ziel der permanenten Wissenserweiterung, der geistigen Fitness sowie des intellektuellen und kulturellen Austausches», wie es im Leitbild heisst. «Bildung und Kultur sollen für alle zugänglich sein», schreibt Hubli zum neuen Studienprogramm. «Der Zugang zu unseren Anlässen kennt keine Hemmschwellen.» Lebenslanges Lernen ist angesagt.

Wer im Alter nicht aufs Abstellgleis geraten will, kann sich der Digitalisierung und dem technologischen Wandel nicht verschliessen. Gut informiert zu sein und über aktualisiertes Wissen zu verfügen sei für die Generation 65plus entscheidend für die «Aufrechterhaltung von Gesundheit, Selbstbestimmtheit und informierter gesellschaftlicher Mitbestimmung». Das schreiben die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello und der Gerontopsychologe Mike Martin im Fazit zur nationalen Befragungsstudie «Bildungs- und Lernbedürfnisse im Alter», die der Schweizerische Verband der Seniorenuniversitäten und der Verband der Volkshochschulen 2021 gemeinsam herausgaben.

Ich schreibe mich regelmässig bei der Seniorenuniversität ein. Was mich dazu verleitet, ist das Vertiefen der historischen, kulturgeschichtlichen oder philosophischen Themen. Insbesondere die Seminare bewirken oft das Wiederaufschlagen von Büchern, die ich während der Berufsjahre nie zu Ende gelesen hatte: etwa «Vita activa» von Hannah Arendt oder «Das Prinzip Verantwortung» von Hans Jonas (erworben 1984, steckengeblieben auf Seite 153). Nun eröffnen mir die Vorlesungen einen neuen Zugang zu solchen Fragestellungen. Als besonders attraktiv und lehrreich empfand ich in jüngster Zeit die Geschichtsseminare über Russland und die Zaren, über China oder über den spanischen Bürgerkrieg. So wird aktuelle Weltgeschichte besser fassbar.


Ein Parcours durch die Bildungslandschaft

Die Seniorenuniversität Luzern feiert mit zwei Veranstaltungen das 25-jährige Jubiläum. Am Samstag, 26. August 2023, wird zwischen 9.30 und 16.30 Uhr am Tag der offenen Tür ein Einblick in die verschiedenen Wissensbereiche angeboten. 40 Dozentinnen und Dozenten werden in Kurzreferaten ihre Spezialgebiete vorstellen. Höhepunkt ist um 12 Uhr das öffentliche Referat von Prof. Jacques Dubochet an der Universität Luzern (Hörsaal 1). Der Biophysiker Dubochet, der als Kind unter Legasthenie litt, erhielt 2017 den Nobelpreis für Chemie. Mit diesem Renommee setzt er sich in der Öffentlichkeit auch für den Schutz der Umwelt und des Klimas ein, wie der Dokumentarfilm «Citoyen Nobel» (2020) anschaulich zeigt.

Am Montag, 28. August 2023, wird um 16.30 Uhr an der Universität Luzern mit dem Festreferat von alt Bundesrat Adolf Ogi das neue Studienjahr eröffnet. Sein Thema: «Führung praktisch umgesetzt». (Für Vereinsmitglieder kostenlos, Anmeldung empfohlen.) Die Seniorenuniversität Luzern, mit rund 3600 Mitgliedern die grösste in der Schweiz, bietet unter dem Patronat der Universität Luzern über 100 Kurse und rund 230 Vorträge und Seminare zu 14 verschiedenen Fachbereichen an: von Geschichte über Kultur und Sprachen bis zu den Naturwissenschaften. Der Mitgliederbeitrag, der auch das digitale Angebot mit rund 80 Vorträgen pro Jahr umfasst, beträgt pro Jahr 75 Franken.

Weitere Informationen zur Seniorenuni und zum Jubiläum.


Von besonderem Reiz sind die Exkursionen. Sie bringen mir kulturhistorische Orte näher, etwa den Kapellenweg im Rottal, die Wallfahrtskirche Hergiswald, die Villa Senar von Rachmaninoff in Hertenstein oder, dank einer Konzertprobe mit dem Luzerner Sinfonieorchester im KKL, das Werk von Gustav Mahler. «Bei den Exkursionen sind die sozialen Aspekte und der direkte Kontakt mit dem Dozenten, der Dozentin besonders wichtig», bestätigt Präsident Michel Hubli. Die Hitparade der Themenkreise führen Kunst- und Kulturgeschichte sowie Naturwissenschaften, Literatur, Philosophie und Geschichte an.

«Corona war ein radikaler Einschnitt»
Die Pandemie hat die Seniorenuniversität allerdings in existenzielle Nöte gebracht. Die Teilnehmerzahl bei den Vorträgen sank von knapp 9000 (2019) auf unter 2000 (2022), bei den Seminaren ging sie fast um einen Drittel zurück (von 2205 auf 1496). «Corona war ein radikaler Einschnitt», sagt Präsident Michel Hubli. Fast über Nacht wurde in Kooperation mit der Seniorenuniversität Zürich das digitale Vortragsformat myULU3 geschaffen. Alle Vorträge können nun an der Universität live besucht oder über Zoom zeitgleich oder zu einem späteren Zeitpunkt digital mitverfolgt werden. Inzwischen sind über 200 Vorträge im Archiv greifbar. Das schafft mehr Flexibilität auch für die Studierenden. So liess ich mich an zwei Abenden zu Hause von Kunsthistoriker Stephan Sievers in die Geschichte und Ästhetik der Alhambra in Granada und der Mezquita in Cordoba entführen, wunderbar. Für die Seminare gilt weiterhin ausschliesslich Präsenzunterricht.

Präsident Michel Hubli hofft, mit dem digitalen Angebot die Reichweite vergrössern und so vermehrt Studierende aus der ganzen Zentralschweiz für das vielseitige Bildungsprogramm gewinnen zu können. «Wir brauchen diese breite Basis an Mitgliedern, um die Existenz der Seniorenuni längerfristig zu sichern.» Der Schwund der Mitgliederzahl – zwischen 2020 und 2022 ging sie von 4100 auf 3650 zurück - konnte zwar gebremst, aber der positive Trend noch nicht nachhaltig verstärkt werden. So schloss die letzte Jahresrechnung mit einem Verlust von annähernd 50'000 Franken ab.

Keine Unterstützung von Kanton und Stadt
Obschon das bildungspolitische Credo vom «lebenslangen Lernen» der Politik schnell auf der Zunge liegt, «stellt die Pensionierung nach wie vor eine Zäsur in Sachen Weiterbildung dar», konstatieren die Experten der nationalen Befragungsstudie. Das hat auch mit der Zurückhaltung der Politik zu tun. Jedenfalls wird die Bildung für die Generation 60plus nach wie vor wenig unterstützt. So wird die Seniorenuniversität weder vom Kanton noch von der Stadt Luzern finanziell unterstützt. Einzig die Gemeinde Meggen zahlt einen Jahresbeitrag von 2000 Franken.

Auch auf eidgenössischer Ebene hat der Bundesrat wenig Musikgehör für die Altersbildung. Er empfiehlt ein Postulat von Valentine Python (Grüne Fraktion) zur Ablehnung. Die Waadtländer Nationalrätin verlangt vom Bundesrat, gesetzliche Grundlagen mit entsprechenden Finanzhilfen zu schaffen, um «das Konzept des lebenslangen Lernens in der schweizerischen Alterspolitik zu verankern». Das Parlament hat dazu noch nicht Stellung bezogen. Eine bildungspolitische Offensive für die Generation 60plus wäre umso dringender, weil gemäss der nationalen Befragungsstudie «Bildungs- und Lernbedürfnisse im Alter» sich nach der Pensionierung nur 18 Prozent der älteren Bevölkerung weiterbildet – und nur 11 Prozent der älteren Generation hat das Bildungsangebot der Seniorenuniversitäten überhaupt je einmal genutzt.

Ich habe inzwischen ein kunsthistorisches Seminar bei Kristina Piwecki über Suzanne Valadon und Maurice Utrillo gebucht. Mit seinen Bildern vom Montmartre hat Utrillo in meiner Jugend die Sehnsucht nach Paris geweckt. Zudem werde ich dem Historiker Jürg Stadelmann auf eine Exkursion nach Gisikon folgen, um mir den Sonderbundskrieg von 1847 an Ort und Stelle zu veranschaulichen. Und dann habe ich noch einige Vorträge in der Agenda eingetragen.  

20. Juli 2023 – beat.buehlmann@luzern60plus.ch