„Im gemeinsamen Haus haben wir einen
intensiveren Kontakt mit den Grosskindern“

Alt Stadtpräsident Urs Studer und seine Frau wohnen für ein Jahr provisorisch in einer Mietwohnung im Weinbergli. Im Herbst 2013 kehren sie ins Bellerive-Quartier zurück – in das neu gebaute Haus. Und mit ihnen werden zwei ihrer Kinder samt Familie einziehen. Ein Modell, um im Alter mehr aus den Einfamilienhäusern zu machen?

Der Bagger hat abgeräumt. Vom Einfamilienhaus der Studers ist kaum noch etwas zu sehen, einzig von der Garagenzufahrt sind Bruchstücke zu erkennen. Susi und Urs Studer stehen mit gemischten Gefühlen auf dem Bauplatz. Über 20 Jahre haben sie in diesem Haus an der Bellerivematte gewohnt und ihre drei Kinder grossgezogen. Am Tag zuvor haben Forstarbeiter die Eiche und die Ulme gefällt, um mehr Platz für den Neubau zu schaffen. „Das war schlimm“, sagt Susi Studer, „dieser Abbruch ist mit viel Wehmut verbunden.“ Sie hatte sich das eigentlich fürs Alter ganz anders vorgestellt. Grosse Wohnung, schöner eigener Garten – und viel Zeit, um sich damit zu verweilen. „Von diesem Traum musste ich mich verabschieden.“

Distanz auch in der Nähe
Denn das zweistöckige Einfamilienhaus, vor 75 Jahren erbaut und inzwischen erneuerungsbedürftig, war mit seinen sechs Zimmern und dem grossen Umschwung nicht mehr das ideale Zuhause für das Ehepaar mit ausgeflogenen Kindern. „Ich schlug deshalb der Familie vor, das Haus neu zu bauen und damit Raum für uns und für zwei junge Familien zu schaffen“, sagt Urs Studer (63). Künftig werden sie im oberen Stock in einer Viereinhalb-Zimmer-Wohnung leben – mit Balkon und Seesicht. Die 36-jährige Tochter Sabine mit Familie (zwei Kinder, vier und fünf Jahre alt) und der 35-jährige Sohn Lukas mit Familie (ein achtmonatiges Kind) werden im Untergeschoss in zwei Wohnungen mit je sechs Zimmern und separatem Eingang zu Hause sein – und so mit den kleinen Kindern auch den Garten nutzen können.

„Die Enkelkinder brauchen jetzt den Platz, um sich austoben zu können“, sagt die 62-jährige Susi Studer. Auch wenn es ihr etwas schwer gefallen ist, auf den eigenen Garten und aufgrund der kleineren Wohnung auf viele biografische Erinnerungstücke zu verzichten, freut sie sich über ihre künftigen Aufgaben als Haushüterin, Hundebetreuerin - und natürlich vor allem als Kinderhüterin. „Im gemeinsamen Haus werden wir einen intensiveren Kontakt mit den Grosskindern haben“, sagt die Nonna. Schafft diese Nähe nicht auch Probleme? Urs Studer sieht diesem Zusammenleben entspannt entgegen. „Wir werden sicher nicht jeden Tag gemeinsam essen und ihnen bei der Kindererziehung dreinreden.“ Nötig sei, dass alle ein eigenständiges Leben führen könnten. „Es braucht die Distanz trotz der Nähe.“

Ältere Personen zum Umzug zwingen?
Die neue Wohnform der Studers hat auch eine städtebauliche Dimension. Heute werden die Einfamilienhäuser schlecht genutzt – vor allem von den älteren Eigentümern. So lebte im Bellerive-Quartier bis vor kurzem eine Witwe während Jahren allein in einer Villa mit elf Zimmern. Gesamt-schweizerisch wird rund die Hälfte der 850 000 Einfamilienhäuser nur von einer oder allenfalls zwei Personen bewohnt, wie der Volkswirtschafter Daniel Hornung im Handbuch „Weiterbauen“ festhält. Und das bei einer Wohnfläche von durchschnittlich 140 Quadratmetern. Würde in diesen Häusern mit Umbau und Verdichtung eine Wohnung für zwei zusätzliche Personen geschaffen, liesse sich der Bau von 75 000 Wohnungen auf der grünen Wiese vermeiden – und der Baulandbedarf um 2500 Hektaren vermindern. Doch die vorwiegend älteren „Hüsli“-Besitzer zeigen meistens wenig Neigung, in eine kleinere Wohnung zu wechseln. Und dies, obschon mehr als ein Viertel der älteren Hauseigentümer laut „Age Report“ eigentlich findet, die Wohnung sei ihnen zu gross geworden. Zimmer bleiben ungenutzt, Gärten verwildern.

In Zeiten, wo Wohnraum allenthalben knapp wird und alle von Verdichtung reden, könnte dieser Luxus zum Politikum werden. So hat die CVP Basel-Stadt diesen Sommer in einem parlamentarischen Vorstoss verlangt, die bessere Nutzung des vorhandenen Wohnraums zu prüfen. „Während junge Familien, die gerne in der Stadt bleiben wollen, grösste Mühe haben, eine geeignete Wohnung oder ein Einfamilienhaus zu finden, leben manche betagte Ehepaare oder alleinstehenden Personen in grossen Wohneinheiten.“ Der Regierungsrat habe deshalb zu prüfen, was er tun könne, „um den Umzug älterer Personen aus nicht mehr benötigen Wohneinheiten in kleinere Logis nach Kräften zu unterstützen“. So einfach ist das allerdings nicht. Wer 40 Jahre im gleichen Haus gelebt hat, zieht nicht gerne in ein anderes Quartier – und muss dort allenfalls mit höheren Wohnkosten rechnen. Eine Alternative zum Zügeln ist das „Weiterbauen“, wie im höchst informativen und attraktiven Handbuch „Weiterbauen“ von Mariette Beyeler an zahlreichen Beispielen dokumentiert wird. „Eine neue Nutzung kann eine soziale Bereicherung bedeuten“, schreibt die Autorin. Auch die Wohnung zu teilen und den persönlichen Wohnbereich für andere zu öffnen, kann neue Perspektiven eröffnen, verlange aber „soziale Kompetenzen, Konfliktfähigkeit und insbesondere die Bereitschaft, auf die Intimsphäre einer eigenen, abgeschlossenen Wohnung zu verzichten“. 

Dusche und Küche teilen, eigenständig bleiben
Heidi Brunner, 68, ist dieses Experiment eingegangen. Sie ist seit Jahren verwitwet, hat bis zur Pensionierung als Krankenschwester gearbeitet und ist jetzt als freie Gerontologin tätig. Sie hat mehr als 30 Jahren mit ihren Söhnen in einem Einfamilienhaus in Emmenbrücke gewohnt und hat dann in eine Vierzimmer-Wohnung im Maihof-Quartier gewechselt. Dort ist vor kurzem eine zweite Frau eingezogen. „Am Anfang bin ich selber ein wenig erschrocken, als da plötzlich bei mir jemand übernachtete, den ich kaum kannte“, berichtet Heidi Brunner, fast ein wenig verdutzt über sich selber. Die 47-jährige Physiotherapeutin hatte per Inserat eine Wohnung gesucht – und Heidi Brunner fand, das könnte eine geeignete Mitbewohnerin sein. Nach drei kurzen Kontakten war die Wohngemeinschaft besiegelt.

„Es ist erschreckend, wie viele Frauen, nicht zuletzt ältere, alleine leben und umkehrt der Wohnraum in der Stadt knapp wird.“ Vielleicht, so Heidi Brunner, wäre es an der Zeit, neue Wohnmodelle auszuprobieren und das Gemeinschaftliche stärker hervor zu streichen. „Da habe ich mir gedacht, ich könnte meine Wohnung teilen“, sagt die selbstständige Gerontologin. Sie wollte bewusst keine junge Studentin („da wäre ich wohl zu schnell wieder in der Mutterrolle“), sondern bevorzugte eine selbständige Mitbewohnerin. Beide Frauen wollen weiterhin ein eigenes Leben zu führen. „Jede kocht für sich und kauft auch selber ein“, sagt Brunner. Das Morgenessen nehmen sie zu unterschiedlichen Zeiten ein. „Wir sind eine Wohngemeinschaft mit grossem Freiraum, achten die Privatsphäre des anderen.“ Heidi Brunner hat zwei Zimmer abgetreten; die Wohnstube und das Schlafzimmer/Büro (mit Sicht auf den Rotsee) bleiben ihr vorbehalten. Bauliche Veränderungen waren keine nötig, sie habe keinen einzigen Nagel neu  eingeschlagen. „Ich habe nur Sofa und Fernseher ein wenig verschoben und die Glastüre zum Wohnzimmer geschlossen. Allerdings musste ich Estrich und Keller mit meinen Sachen vollstopfen.“ Jede Bewohnerin hat ein eigenes WC, die Dusche müssen sie teilen.

„Ich bin froh, dass ich diese Wohnform ausprobiere“, sagt Heidi Brunner. „Am Abend ist jemand da, mit dem man sich austauschen kann – zumal die Mitbewohnerin als Physiotherapeutin tätig ist und somit von ihrem Berufsalltag erzählen kann. „Das hält mich frisch.“ Die zwei Frauen haben sich in ihrer Wohngemeinschaft bewusst in kleinen Schritten angenähert, im Wissen darum, dass viel Respekt nötig ist – und das Experiment trotzdem scheitern kann. „Meine Lebensqualität darf nicht schlechter werden“, sagt Heidi Brunner, „andernfalls müssten wir uns wieder trennen.“ Doch im gemeinsamen Alltag wächst die Nähe. Vor kurzem hat Heidi Brunner ihre Wohnpartnerin zum Geburtstagsfest eingeladen, „so konnte sie meine erwachsenen Kinder und die Enkel kennenlernen“.

Beat Bühlmann – 31. Oktober 2012

www.age-stiftung.ch
Weiterbauen. Wohneigentum im Alter neu nutzen. Von Mariette Beyeler, herausgegeben von der Age Stiftung. 172 Seiten, über 100 farbige Abbildungen, Grundrisse und Pläne. 38 Franken. Christoph Merian Verlag, Basel 2010.

Age Report 2009. Einblicke und Ausblicke zum Wohnen im Alter. Von François Höpflinger. 296 Seiten. 38 Franken. Seismo Verlag, Zürich 2009.