Das gemachte Sterben

Von Beat Bühlmann

Exit, die " Vereinigung für humanes Sterben", zählt inzwischen über 115 000 Mitglieder. Im letzten Jahr begleiteten die Exit-Vereine der Deutsch- und der Westschweiz 995 Menschen in den Tod (NZZ, 15.5.2016). Das war ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor - oder das Fünffache von 2003. Zusammen mit Dignitas, der zweitgrössten Sterbehilfeorganisation der Schweiz, nahmen letztes Jahr rund 1200 Menschen Sterbehilfe in Anspruch.

Die Schweizerische Nationalkommission Justitia et Pax thematisiert in einem differenzierten Diskussionsbeitrag aus christlich-sozialethischer Perspektive den Alterssuizid. Durch die Ausweitung der Suizidbeihilfe erscheine das gemachte Sterben zusehends als Normalität. "Der 'machbare Tod', der 'Tod auf Bestellung' verändert unseren gesellschaftlichen Umgang mit Alter, Gebrechlichkeit und Behinderung", konstatiert Generalsekretär Wolfgang Bürgstein. "Eine Gesellschaft, die hier nicht sensibel genug ist, die Kehrseite dieser Medaille zu sehen, droht die Inhumanität."

"Altersfreitod" problematisch
Der Diskussionsbeitrag der Nationalkommission Justitia et Pax, eine Laienkommission der Katholischen Kirche, ist keine Kampfschrift gegen die Sterbebegleitung. Sie meldet jedoch starke Vorbehalte gegen den sogenannten "Altersfreitod" an, wie ihn Exit vor zwei Jahren in die Statuten aufgenommen hat. Danach soll "das Recht auf freiverantwortliches Sterben eines sehr alten Sterbewilligen mit erleichterten Zugang zum Sterbemedikament im Vergleich zu einem jüngeren Sterbewilligen" gelten. Das würde bedeuten, dass Hochbetagte weniger medizinische Abklärungen und weniger gravierende Leiden nachzuweisen hätten als jüngere Patienten, um das Sterbemittel zu erhalten. "Also nicht die Todesnähe oder bereits vorhandene Beschwerden und Einschränkungen, sondern allein das Alter und die Perspektive eines belastenden, vermutlich unselbständigen und schmerzhaften weiteren Lebensverlaufs sollen neu eine Suizidhilfe rechtfertigen", merkt Justitia et Pax kritisch an. Auch die Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie findet den "Altersfreitod" höchst problematisch (Positionspapier).

Problematisch ist laut Justitia et Pax, dass die Sterbehilfe nicht Extremsituationen vorbehalten ist, sondern zusehends relativiert wird. Bei Hochaltrigkeit, drohender Pflegebedürftigkeit und zunehmender Demenz soll Suizidhilfe im (hohen) Alter ohne weiteres möglich sein, so dass sie gleichsam als eine Normalität erscheint. Doch der Suizid könne niemals "normal" sein und sollte auch nicht "normalisiert" werden, heisst es im Diskussionspapier. Der Suizid  bedürfe ausserordentlich starker Gründe, um als alternativlos akzeptiert zu werden. "Sich lieber das Leben zu nehmen, als sich in ein Pflegeheim zu begeben, kann als plausible Begründung einer Selbsttötung nicht überzeugen." Wenn die Situation im Pflegeheim derart schlimm sein sollte, dass Menschen die Selbsttötung vorzögen, müsse das Leben im Pflegeheim verbessert werden. Auch Kostenüberlegungen, die aufgrund der demografischen Veränderungen an  Bedeutung gewinnen könnten, "dürfen nie ein legitimer Grund sein, um eine Selbsttötung in Erwägung zu ziehen", verlangt Justitia et Pax.

Keiner stirbt für sich allein
Das gegenwärtig einseitig hochgehaltene Ideal der Autonomie alleine biete letztlich keine angemessene Orientierung für die Herausforderungen am Lebensende. "Der Wunsch, alles im Griff haben zu wollen, oder die Überzeugung, alles selbst entscheiden zu müssen, führen letztlich am Leben vorbei." Das eigene Sterben ist nicht einfach eine Art Projekt, das selbstbestimmt jeder für sich allein gestalten kann. "Sterben ist immer auch eine soziale Angelegenheit", betont Generalsekretär Wolfgang Bürgstein. "Niemand stirbt für sich allein. Es bleiben immer Menschen zurück, die sich mit der Entscheidung abfinden müssen." Und der Wunsch zu sterben ist immer auch eine Antwort auf ein soziales Klima. "Dieses Klima zu verbessern, so dass auch gebrechliches Leben nicht an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wird, das wäre und ist unsere vornehmste Aufgabe."

Das Diskussionspapier