"Auch Menschen über Achtzig haben viel zu sagen"

Von Beat Bühlmann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

"Habe ich in zehn Jahren auch noch eine Chance, am gesellschaftlichen und politischen Leben mitzuwirken?" Diese Frage stellte sich Dagmar Böhler-Kreitlow (71) an ihrem letzten runden Geburtstag - und sie will jetzt dafür sorgen, dass dies möglich sein wird. Zusammen mit Kollegen von Innovage Zentralschweiz will sie ein Netzwerk für die Generation 80plus auf die Beine stellen. In Koordination mit der Fachstelle für Altersfragen der Stadt Luzern sucht sie Luzernerinnen und Luzerner der 80plus, die aktiv beim Aufbau dieses Netzwerkes mitwirken wollen. Ein erstes Treffen für Interessierte findet am 17. Mai 2017 statt.

"Nicht nur gebrechliche Alte"

Dagmar Böhler will keine neue Jassgruppen gründen. Stattdessen soll das neue Netzwerk den über 80-jährigen Menschen ermöglichen, sich aktiv einzubringen für die politische Partizipation und Freiwilligenarbeit, für das gemeinsame Lancieren von neuen Ideen, Projekten und Konzepten und nicht zuletzt für das Weitergeben von Erfahrungswissen. "Ich bin überzeugt, dass die Hochaltrigen im sozialen und im kulturellen Leben viel bewirken und so die Gesellschaft bereichern können", sagt Dagmar Böhler. "Auch Menschen über Achtzig haben viel zu sagen." Davon ist auch Bettina Hübscher, Leiterin der städtischen Fachstelle für Altersfragen, überzeugt. "Ein Netzwerk 80plus würde ermöglichen, die Gruppe der Hochaltrigen besser anzusprechen und sie als Sprachrohr dieser Generation zu gewinnen." So könnten das Netzwerk die politischen und gesellschaftlichen Interessen der 80plus wahrnehmen, aber auch die vielfältigen Ressourcen dieser Altersgruppe in städtische Leben einbringen. So  könne auch das vorherrschende negative Bild der Hochaltrigkeit korrigiert werden, sagt Bettina Hübscher. "Alte Menschen sind für die Gesellschaft nicht einfach ein Kostenfaktor, sondern mit ihren Lebenserfahrungen auch eine Bereicherung."

Das sieht Ferdinand Steiner, 81-jährig, auch so; er macht deshalb beim Projekt mit. Steiner ist allerdings aufgrund der Gespräche in seinem Bekanntenkreis nicht so sicher, ob die 80plus nach neuen Betätigungsfeldern Ausschau halten. "Viele sagen mir, dass sie schon genug zu tun hätten und sich nicht noch mehr engagieren möchten." Das gilt eigentlich auch für Ferdinand Steiner. Der frühere CEO einer Krankenversicherung ist seit Jahren aktiv bei Innovage Zentralschweiz und in der Arbeitsgruppe "Wohnen im Alter" im Wesemlinquartier, und er ist bei zwei Jassgruppen und zwei Stammrunden dabei. Dennoch findet Steiner das Projekt sinnvoll. "Wir müssen es probieren", sagt er, "vielleicht hilft ein niederschwelliges Netzwerk, jene 80plus anzusprechen, die sich von der Öffentlichkeit zurückgezogen haben." Lange genug habe man ja ihnen eingeredet, dass sie nun zum "alten Eisen" gehörten.

Soziale Teilhabe der Hochbetagten fördern

In den letzten Jahren haben die aktiven, reisefreudigen Rentnerinnen und Rentner weitgehend das Altersbild geprägt, auch das Projekt Luzern60plus hat sich in erster Linie an die Menschen im dritten Lebensalter gerichtet. Das vierte Lebensalter (85plus) wurde hingegen vor allem mit körperlichen Defiziten und Gebrechlichkeit assoziiert. Das beginnt sich zu ändern. So belegt die Heidelberger Hochaltrigenstudie unter der Leitung des deutschen Altersforschers Andreas Kruse (mit 400 Befragten zwischen 85 und 99 Jahren), dass hochbetagte Menschen durchaus Mitverantwortung wahrnehmen wollen und sich gesellschaftliches Engagement durchaus vorstellen können.

Entscheidend sei, dass in unserer Gesellschaft "Gelegenheitsstrukturen geschaffen werden, die auch hochbetagten Menschen die Möglichkeit geben, ihr spezifisches Wissen in den öffentlichen Raum einzubringen". wie das Fazit der Studie lautet. "Wir tun zu wenig, um die soziale Teilhabe der Hochbetagten zu fördern", sagte Kruse in einem Interview mit Luzern60plus. "Wir müssten ihnen öffentliche Veranstaltungen anbieten, wo sie über das Alter, auch das schöpferische Alter, reden können und so den jüngeren Menschen aus persönlicher Lebenserfahrung verdeutlichen, wie gross die Potenziale des hohen Alters sind."

Welche Themen das Netzwerk 80plus in Luzern setzen und wo es sich engagieren will, ist offen. "Von unserer Fachstelle aus werden wir das Netzwerk so wenig wie möglich steuern", sagt Bettina Hübscher. "Die Direktbetroffenen müssen selber die Akzente setzen." Denkbar wäre, dass sich das Netzwerk 80plus als eigene Arbeitsgruppe dem Forum Luzern60plus anschliesst. An der Informationsveranstaltung vom 17. Mai soll ein erster Austausch stattfinden.

Informationsveranstaltung am Mittwoch, 17. Mai 2017, um 9.30 Uhr, im Stadthaus am Hirschengraben 17 (4. Stock, Sitzungszimmer Dietschiberg). Der Flyer
Weitere Auskünfte bei Dagmar Böhler-Kreitlow dagmar.boehler@innovage.ch
Anmeldung bei Simone App, Fachstelle für Altersfragen. Telefon 041 208 81 40 oder ages@stadtluzern.ch

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