Eine Küchenbrigade für 900 HeimbewohnerInnen

Von Marietherese Schwegler

Im eher gleichförmigen Heimalltag ist jede Zerstreuung willkommen; da gilt selbst das tägliche Zmittag oder Znacht als angenehme Abwechslung. Das ist zu vermuten, wenn man die Reihe wartender Frauen und Männer sieht, die bereits um halb zwölf Uhr geduldig vor dem Speisesaal im Betagtenzentrum Eichhof sitzen. Das gleiche Bild in der Gemeinschaftsküche einer Pflegeabteilung, wo die weniger mobilen Gäste in kleiner Runde essen. Und auch schon am Tisch sitzen, bevor zwei Mitarbeitende den Salat, die Suppe und das Menü bringen.

Kochen in der Grossküche

Im Haus Rubin befindet sich die zentrale Eichhof-Küche, wo für die rund 900 Bewohnerinnen und Bewohner aller Betagtenzentren der Viva Luzern AG gekocht wird. Aber nicht nur das: Das 37-köpfige Team – die Hälfte davon ausgebildete Köche – kocht auch für das öffentliche Bistro im Eichhof, produziert jährlich 86 000 Menüs für den Mahlzeitendienst der Pro Senectute Kanton Luzern, beliefert Kinderhorte und bereitet ausserdem das Catering-Angebot für private Events zu. Dass Hygiene in dieser Grossküche gross geschrieben wird, versteht sich. Ein Blick aus der Ferne auf die emsigen, weiss gewandeten Mitarbeitenden und auf viel Chromstahl muss genügen. Aussenstehende dürfen die rote Linie auf dem Küchenboden nicht überschreiten und nicht in die Töpfe gucken.

Ein Riesenbetrieb! Wie können da individuelle Wünsche der alten Menschen in den Heimen befriedigt werden? Werden ihre Vorlieben und Abneigungen überhaupt beachtet? Marco Borsotti, Betriebsleiter Eichhof und somit auch Verantwortlicher dieser Küche, spricht zuerst einmal über die Qualität: „Mit der Methode Cook & Chill lässt sich auch eine grosse Anzahl Mahlzeiten in guter Qualität zentral vorkochen. Dies hat aber gar nichts zu tun mit den bekannten Fertigmahlzeiten“, erklärt er. Cook & Chill steht für ein Konzept, die Gerichte nach dem Garen schnell auf +4 Grad abzukühlen. In der Regel werden die im Eichhof vorgekochten, gekühlten Speisen am Folgetag an die einzelnen Heime ausgeliefert, wo sie dann vor dem Servieren aufbereitet werden. Das gilt teilweise für die Mittag- und Abendessen, während das Frühstücksbuffet in jedem Heim separat hergerichtet wird.

Individuelle Gewohnheiten

Der Küchenchef im Eichhof ist der Gestalter des Menüplans, der Wochen im Voraus entsteht. Er ist zwar weit weg von den anderen Heimen, aber nahe bei den Leuten im Eichhof und kennt den Geschmack der älteren Generation. Grossen Einfluss hat zudem die Menükommission, in der die Küchenchefs aller Heime vertreten sind.

Kommen auf diese Weise die individuellen Essgewohnheiten nicht zu kurz? Wird in der Zentralküche nach dem Geschmack der betagten Leute mit ihrer eigenen Essbiografie oder eher nach heutigen Standards gekocht? „Sowohl als auch“, relativiert Marco Borsotti. „Die Küche von früher kommt ebenso zum Zug wie innovative Gerichte. Da kann es schon einmal zu Zielkonflikten kommen.“ Jedenfalls haben die BewohnerInnen am Mittag die Wahl zwischen einem Tagesmenü, einem Menü nach mediterraner Küche und einer fleischlosen Variante, oder sie können sich am Buffet nach Belieben selber bedienen. Ausserdem werden schon beim Eintrittsgespräch individuelle Vorlieben oder Unverträglichkeiten genau abgeklärt und dann nach Möglichkeit berücksichtigt. „Und zu besonderen Gelegenheiten, etwa zum Geburtstag, dürfen die Betagten auch mal ihr Lieblingsmenü wünschen.“ Für die Patientinnen und Patienten der Palliativstation wird übrigens täglich nach deren Wünschen gekocht.

Auch die Essenszeiten sind nicht eng definiert, für alle drei Mahlzeiten haben die Leute zwei Stunden Zeit. „Aber viele warten schon um elf Uhr auf das Zmittag und ab 17.30 Uhr auf das Nachtessen. Vor dem Abendprogramm im Fernsehen wollen die Betagten das Essen hinter sich haben“, sagt Marco Borsotti.

„Keine Gesundheitsapostel“

Und wie steht es um die Diäten, die manche alten Menschen vermutlich benötigen? Marco Borsotti sagt, es würden eigentlich nur wenige Diäten verordnet. „Wir achten aber allgemein auf eine gesunde, altersgerechte Ernährung und pflegen beispielsweise die mediterrane Küche mit viel Gemüse.“ Gesundheitsapostel seien sie aber keineswegs. „So kann ein 93-Jähriger ohne weiteres drei Mal in der Woche seine geliebte Bratwurst essen.“ Und das Glas Rotwein zum Zmittag oder ein Kafi Luz nach dem Znacht sei ebenfalls in Ordnung. Alkoholismus sei im Heim übrigens kaum ein Problem, und bei einigen Gefährdeten versuche man den Konsum zu steuern.

Zudem ergänzt Marco Borsotti: „Von den alten Menschen, die jetzt im Pflegeheim leben, haben einige sogar zwei Weltkriege erlebt und sind nicht verwöhnt, was das Essen betrifft.“ Er ist sich bewusst, dass das mit den Folgegenerationen ändern wird. „Die Babyboomer dürften dereinst höhere Ansprüche haben.“

Ein durchaus aktuelles Problem aber sind Schluckbeschwerden, die alte Menschen, auch Menschen mit Demenz, oftmals haben. Ihnen bietet die Eichhofküche Smoothfood an – pürierte und wieder in ansehnliche Form gebrachte Speisen. Der spezialisierte Koch und Gerontologe Markus Biedermann hat sein Smoothfood-Konzept vor eineinhalb Jahren im Eichhof eingeführt.

Andere Kulturen

Nun leben in den Pflegeheimen inzwischen auch alte Menschen, die seit den 1960er-Jahren aus Italien oder Spanien zugewandert sind, und bald werden auch solche aus Balkanländern hinzukommen. Wie geht man um mit ihren kulturellen Eigenheiten? Marco Borsotti erwähnt die Diskussion, für diese Bevölkerungsgruppe allenfalls eigene „mediterrane Abteilungen“ zu schaffen. Aber er hält wenig davon. „Wir nehmen beim Kochen teilweise Rücksicht auf ihre Essgewohnheiten. Aber grundsätzlich wollen wir diese Menschen integrieren und nicht separieren“, sagt er mit Überzeugung. Im Eichhof habe man Erfahrung mit zahlreichen Kulturen. Unter den Mitarbeitenden seien 15 Nationen vertreten. Und diese Vielfalt wirke sich positiv aus im Umgang mit Bewohnerinnen und Bewohnern aus anderen Ländern. „So können wir kulturell unterschiedliche Haltungen, auch zu Fragen wie Sterben und Tod, besser verstehen.“

Kochen im Heim: Zentral oder dezentral?

Seit Anfang 2015 werden die Betagtenzentren nicht mehr von der Stadt Luzern, sondern von der Viva Luzern AG geführt. Sind unter der neuen Ägide Änderungen bezüglich einer zentralen Küche für alle Betriebe zu erwarten? Marco Borsotti bestätigt, dass das Konzept derzeit zur Diskussion stehe. Er nennt kurz die Punkte, die zu erwägen sind: Grundsätzlich seien alle Heime mit einer eigenen Küche ausgerüstet. Aber es gehe nicht bloss ums Kochen, sondern auch um Themen wie Menüplanung, Einkauf, Lager und logistische Fragen. „Die Kundenorientierung ist zentral. Es wird schliesslich darum gehen zu entscheiden, mit welchem System den Kundenbedürfnissen am effektivsten begegnet werden kann“, erklärt Marco Borsotti. Das sei ein unternehmerischer Entscheid, mit der sich die Leitung der Viva Luzern AG befassen wird.
18. Mai 2015

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