Begegnungen im Quartier ermöglichen: Vicino-Treffpunkt im Bleichergärtli.

Das Bekenntnis für die „sorgende Gemeinschaft"

Von Beat Bühlmann
Das Stadtparlament setzt deutliche Akzente: Der Beitrag für Vicino Luzern wird nicht nur markant erhöht, die Quartierarbeit für ältere Personen soll schneller ausgebaut werden als vorgesehen. Die Stadt Luzern fördert damit ein Pionierprojekt der „Caring Community".

„Vicino ist ein Glücksfall für die Stadt." Mit diesem Kernsatz eröffnete Marco Müller (Grüne) im städtischen Parlament die Debatte über die Leistungsvereinbarung mit dem Verein „Vicino Luzern". Sämtliche Fraktionen stimmten dem Sonderkredit von 4,604 Millionen Franken zu; das Verdikt fiel mit 40 Ja gegen sieben Nein überaus deutlich aus. Die von der Sozialkommission - gegen den Willen des Stadtrats - beantragte Aufstockung von jährlich 100 000 Franken fand selbst bei CVP und FDP fast einhellige Zustimmung. Einzig die SVP-Fraktion stellte sich quer und wollte nichts wissen von der Quartierarbeit für ältere Menschen. Es sei geradezu diskriminierend zu glauben, die ältere Generation sei auf Vicino angewiesen. Die 60plus seien mündig und aktiv genug, um für sich selber zu schauen.

Nachbarschaftshilfe stärken
Missverständnis oder Ignoranz? Vicino Luzern will niemanden bevormunden, sondern im Gegenteil die älteren Frauen und Männer für das aktive Quartierleben gewinnen und so Nachbarschaftshilfe und Freiwilligenarbeit stärken. Der Verein, der mit über 30 Institutionen breit abgestützt ist, vernetzt die vielfältigen Akteure im Altersbereich und ermöglicht damit auch älteren, allenfalls hilfsbedürftigen Frauen und Männern, in der eigenen Wohnung bleiben zu können. Vicino Luzern gilt inzwischen über die Region hinaus als zukunftsweisendes Modell für eine „Caring Community", für eine sorgende Gemeinschaft.

Denn der demografische Wandel zwingt insbesondere die Städte, in der Alterspolitik neue Wege einzuschlagen. In der Stadt Luzern wird die Bevölkerung 65plus in den nächsten 30 Jahren um etwa 50 Prozent zunehmen, jene der 80-Jährigen und älteren sogar um 65 Prozent – von 5300 auf 8700 Personen. Die Stadt Luzern will deshalb mit präventiven Massnahmen wie der neuen Anlaufstelle Alter oder dem Pilotprojekt „Gutscheine für selbstbestimmtes Wohnen" dazu beitragen, dass die ältere Bevölkerung so lange wie möglich im eigenen Quartier bleiben kann. Heute leben 80 Prozent der 85- bis 89-Jährigen noch zu Hause, bei den bis zu 94-Jährigen sind es immerhin 61 Prozent. Allerdings lebt fast die Hälfte der Stadtbevölkerung in Einpersonen-Haushalten, das sind doppelt so viele wie vor 50 Jahren. Insbesondere die Frauen (83 Prozent) sind oft alleinstehend, umso mehr sind sie auf eine gute Nachbarschaft angewiesen.

Über die ganze Stadt ausdehnen
Mit der neuen Leistungsvereinbarung wird Vicino Luzern aufgetragen, neben dem bestehenden Standort in der Neustadt (Überbauung Himmelrich der Baugenossenschaft abl) zwei weitere Anlaufstellen in Littau Dorf und im Würzenbach einzurichten. Entgegen der Absicht des Stadtrates, der zuwarten wollte, will das Parlament die Quartierarbeit für die älteren Menschen mittelfristig auf zwei weitere Standorte ausweiten, vorzugsweise das Wesemlin und Tribschen-Langensand. Das macht durchaus Sinn, denn die höchste Anzahl der über 80-Jährigen wohnt in den Gebieten Langensand/Matthof (11 Prozent), Wesemlin/Dreilinden (neun Prozent) und Obergrund/Allmend (13 Prozent). Auch das Forum Luzern60plus hat als ständige Fachkommission gefordert, das Caring-Community-Angebot des Vereins Vicino „schrittweise über die ganze Stadt" auszudehnen. Angesichts der demografischen Entwicklung sei diese innovative Quartier- und Präventionsarbeit notwendig und sinnvoll.

Mit 25 Nein zu 21 Ja hat es das städtische Parlament hingegen abgelehnt, den bedarfsgerechten Wohnungswechsel im Quartier zu fördern. Der Stadtrat selber sprach sich für dieses Anliegen aus, denn es werde niemand gezwungen, seine Wohnung zu verlassen, wie Sozialdirektor Martin Merki versicherte. Doch die bürgerlichen Fraktionen befürchteten eine zu grosse Einmischung in private Belange. Zu Unrecht, wenn man sich an die Protokollerklärung hält: „Der Stadtrat prüft konkrete Massnahmen, um einen bedarfsgerechten Wohnungswechsel für ältere Menschen innerhalb des Quartiers zu vereinfachen", hiess der Passus. Dieser Zusatz hätte ermöglicht, auch in diesem heiklen Bereich innovative Ideen auszuprobieren. – 11.6.2019
beat.buehlmann@luzern60plus.ch 

www.vicino-luzern.ch