Zum 90. Geburtstag von Josi J. Meier

Von Judith Stamm

„Kaffee und Kuchen bei Josi Meier“, so lautete die Formel, die uns Politikerinnen über alle Fraktionen hinweg jeweils am Sonntag nach ihrem Geburtstag am 31. August in Luzern zusammenrief. Die einen besuchten schon am Morgen eine musikalische Veranstaltung, zum Mittagessen trafen wir uns in einem Restaurant, und dann verschoben wir uns ins Zöpfli. Dort wohnte Josi Meier in einem altehrwürdigen Haus und hatte im Lauf der Jahre auch den wunderschönen Festsaal aus dem Spätrokoko restaurieren lassen. Wie es sich für ältere Damen geziemt, tranken wir Tee oder Kaffee aus kleinen geblümten Porzellantassen. Wir machten aber nicht „small talk“ sondern politisierten, bis uns die Köpfe rauchten. Gelegentlich entstand daraus sogar die eine oder andere politische Aktion oder Intervention. Damals waren wir ja auch noch nicht ältere Damen im eigentlichen Sinne des Wortes!

Vor zehn Jahren ist Josi Meier gestorben. Aus dem Ständerat war sie 1995 zurückgetreten. Dass sie dann auch ruhiger treten würde, war eine Illusion. Sie präsidierte Swissimage, ebenfalls die Expertenkommission für Sterbehilfe und arbeitete im Schweizer Fonds für Holocaust/Shoa mit, um nur einiges zu nennen. Sie trat als Rednerin auf bei allen, die sie auf ihren Ruhestand  vertröstet hatte. Auch ihr Anwaltsbüro beanspruchte sie weiterhin. Und Krankheit und Leiden zeichneten ihre letzten Jahre.

Josi Meier war eine eigenwillige Person, eine originelle Persönlichkeit, blitzgescheit, schnell im Denken, gut im Zuhören, und konnte mit ihrem überraschenden Humor manche Situation für sich entscheiden. „Sag es uns jetzt, Josi“ forderte sie vor Jahren, als das Thema in aller Leute Mund war,  ein viel jüngerer Anwaltskollege bei einem Kaffeetreffen mit anderen Anwälten auf: „nimmst Du die Pille oder nimmst Du sie nicht?“ Sie habe ihm, so geht die Mär, tief in die Augen geschaut und geantwortet: „weißt Du, das verrate ich Dir dann, wenn es für uns zwei aktuell wird“! Die Peinlichkeit war aufgelöst, die Runde konnte herzhaft lachen. Wie schnell sich  der vorwitzige Fragesteller von seinem Fiasko erholte, ist nicht überliefert!

Begeisterung löste sie mit ihrer Rede an der Frauensession 1991 aus, als sie dem Slogan: „Die Frauen gehören ins Haus, ins Gemeindehaus, ins Rathaus, ins Bundeshaus“ Flügel verlieh.

Ihre Integrität und Unbestechlichkeit waren unbestritten. Auch diesem Umstand widmete sie ein unvergessenes Zitat: „Andere leisten sich eine Jacht oder ein Pferd, ich leiste mir eine eigene Meinung, das ist etwa gleich teuer!“

Die Ausbildung als Juristin, die  politische Laufbahn, wurden Josi Meier nicht in die Wiege gelegt. Ihre Familie war finanziell nicht auf Rosen gebettet. In Dagmersellen, Kanton Luzern, kam sie zur Welt und blieb Einzelkind. Bald zog die Familie nach Luzern, weil der Vater dort eine Stelle als Hotelportier, später als Abwart einer Bank, fand. Josi Meier brachte ihre Eltern dazu, sie zu den Pfadfinderinnen gehen zu lassen, den Besuch des Gymnasiums zu akzeptieren, mit einem Jus-Studium in Genf einverstanden zu sein. Sie eröffnete ein Anwaltsbüro in Luzern, war Mitglied der Schulpflege und im Militär Zugführerin in einem Rotkreuzdetachement. Als Juristin wurde sie in die erste Kommission zur Revision der Bundesverfassung berufen. 1971 wurde sie im Frühling in den Grossen Rat (heute Kantonsrat) und im Herbst als Frau der ersten Stunde in den Nationalrat gewählt. 1982 wechselte sie in den Ständerat, den sie 1992 als erste Frau präsidierte. Ihre Interessen umfassten Sozial- und Familienpolitik, sie präsidierte aber auch die Kommission für Aussenpolitik, war Mitglied des Europarates und der Interparlamentarischen Union. In dieser Eigenschaft besuchte sie mehrmals Parlamentarier, die in ihren Ländern wegen ihrer Gesinnung inhaftiert worden waren. 1991 wurde sie durch die Universität Freiburg im Üechtland und 1994 durch die theologische Fakultät der Universität Luzern mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

„Kaffee und Kuchen bei Josi Meier“ hat seine Form geändert. Aber am Sonntag nach dem 31. August treffen sich auch heute noch Kolleginnen aus dem Parlament, jetzt alles Ehemalige, in fröhlicher Runde und lassen das Andenken dieser aussergewöhnlichen Frau aufleben. Sie hat uns allen viel gegeben. Sie hat uns mit ihrem leidenschaftlichen Engagement beeindruckt und mit ihrem Witz und Humor erheitert. „Als wärs ein Stück von mir“ könnten wir mit Carl Zuckmayer sagen, wenn uns die lebhaften Erinnerungen die Jahre seit ihrem Tod vergessen lassen!
13. September 2016