Anstoss

Heisses Alteisen

Von Hans Beat Achermann

Weil ich alt bin, geniesse ich viele Privilegien: Ich muss nicht mehr um halb sieben Uhr aufstehen, endlich bin ich selber Chef, meine Ferien haben sich von sechs auf 52 Wochen verlängert, die volle AHV sowie eine rechte Rente kommen pünktlich ins Haus, auf dem Bankkonto lagern noch ein paar Batzen aus der dritten Säule. Aber es kommt noch besser: Im Kino bezahle ich zwei Franken weniger, nur weil ich im AHV-Alter bin, die SBB subventionieren mein Senioren-GA mit 980 Franken, damit ich als rüstiger Rentner die Bahnen, Bähnlis und Dampfschiffe verstopfe, in gewissen Museen geniesse ich Kunst mit Altersrabatt und den Hunger könnte ich in irgendeiner Quartierbeiz mit einem verbilligten Seniorenteller stillen, so es mich denn gelüstete. Tut es aber noch nicht. Nur für den Wein bezahle ich immer noch den vollen Preis, obwohl ich doch jetzt mehr Zeit zum Trinken habe, nicht mehr aufstehen muss und keinen Chef mehr habe, bei dem ich mich für das Verschlafen rechtfertigen muss. Gottseidank gibt es bei den bestbekannten Grossverteilern alle paar Wochen eine generationenübergreifende 20%-Aktion auf Weine.

Am Anfang war da noch der Stolz an der Kinokasse, wenn ich ein AHV-Ticket löste und prompt der erhoffte Ausruf kam: Was, aber Sie doch noch nicht! Inzwischen kommt gar nichts mehr, ausser das Rückgeld und das AHV-Billett. Aber ab und zu beschleicht mich ein schlechtes Gewissen. Ich beziehe keine Ergänzungsleistungen, gehöre zu der Babyboomer-Generation, die noch von einem hohen Umwandlungssatz auf ihre Pensionskassenbeiträge profitiert, bin weder reich noch arm, gehöre dem vielzitierten Mittelstand an, also einer Mehrheit, und könnte mir also, ohne mich gross einschränken zu müssen, das Vollpreisticket leisten. Wenn ich mein persönliches Umfeld von Ü65-Leuten anschaue, meine ich, dass die meisten schmerzlos auf diese Privilegien verzichten könnten. Das Thema ist aber tabu, weil Armut und Reichtum generell tabu sind. Über Geld spricht man nicht, weder bei den Armen noch bei den Reichen. Und dazwischen auch selten.

Wie also dem schlechten Gewissen begegnen? Den kleinen Mäzen spielen und auf die zwei Franken Rabatt freiwillig verzichten? Mich für jünger ausgeben auf die Gefahr hin, dass nachher getuschelt wird: Sieht der aber alt aus? Ich bin der Meinung, dass die generelle Privilegierung nur aufgrund des Alters abgeschafft gehört und dass Rabatte wirklich denjenigen gewährt werden, „die es nötig haben". Wie aber soll Bedürftigkeit beglaubigt werden? Niemand möchte an der Kinokasse die Steuereinschätzung vorlegen – zumal nicht alle, die wenig Steuern zahlen, arm sind. Die Kulturlegi der Caritas ist ein Lösungsansatz, damit auch weniger Privilegierte vergünstigt Kultur geniessen können. Das stattkino gewährt zum Beispiel damit 30%-Eintrittsvergünstigung. Auch Lebensmittel können im Caritas Markt mit der Kulturlegi vergünstigt bezogen werden. Vielleicht gibt es die Möglichkeit, auch in andern Bereichen Rabatte einzuführen für Menschen mit knappem Budget. Aber vielleicht haben Sie noch andere Lösungen oder eine andere Meinung zu diesem Thema. Teilen Sie es uns mit!

hansbeat.achermann@luzern60plus.ch

24. Oktober 2018