Palliative Care – ein wertvolles Hilfenetz

Von Marietherese Schwegler

Die Vorstellung, dass Palliative Care eine hochspezialisierte Disziplin sei, mit der schwerstkranke Menschen im Spital bis zum Tod begleitet würden, ist verbreitet. Oder auch die Meinung, Palliative Care komme erst dann zum Zug, wenn sich „nichts mehr machen“ liesse, beispielsweise bei Krebserkrankten in einer späten Phase.

Beides entspricht nicht ganz dem, was Palliative Care im besten Sinn heute ist: Ein umfassendes, vielschichtiges Angebot, das Fachwissen der Pflegenden, der beteiligten Ärzte, von psychosozialen und spirituellen Begleitpersonen erfordert. Ein Team von Fachpersonen und Laien (Familie, Freiwillige), die sich ebenso auszeichnen durch ihre Haltung, ihr Verständnis für die Wünsche und individuellen Bedürfnisse von schwerkranken Menschen, bei denen keine Behandlung mehr zur Heilung führt. Dennoch oder gerade deshalb steht bei der Palliative Care nicht der Tod im Vordergrund, sondern eine möglichst gute Lebensqualität für die Zeit, die den Kranken bleibt – und das kann durchaus eine längere Zeit sein.

Hausarztpraxis ist wichtige Schaltstelle

Deshalb fängt die Grundversorgung in Palliative Care oft schon in der Hausarztpraxis an, sagt Dr. Christian Studer, Präsident der Vereinigung Luzerner Hausärzte und selber als Allgemeinpraktiker tätig. „Als Hausarzt habe ich oft eine jahrelange Beziehung zu meinen PatientInnen, die nicht nur diagnoseorientiert ist. Ich kenne ihre Lebensgeschichte.“ Ein solches Vertrauensverhältnis ist eine gute Basis, um mit ihrem Arzt auch über Sinnfragen zu sprechen. „Manche haben Angst vor einer technologischen Medizin, sie wollen nicht mehr jede Therapie um jeden Preis“, sagt Christian Studer. Er bespricht mit den Patienten, was für eine Behandlung sie noch wünschen und trifft mit ihnen eine Zielvereinbarung; oder er berät sie beim Verfassen einer Patientenverfügung. Da kann zum Beispiel, gerade auch mit älteren Menschen, vereinbart werden, dass schon in einer frühen Krankheitsphase nicht jedes erdenkliche Medikament verordnet, nicht jeder mögliche Eingriff gemacht wird. „Als Hausarzt ist es mein Ziel, maximal fünf Medikamente einzusetzen. Sind mehrere Spezialisten beteiligt, können es schon mal bis zu 15 Medikamente werden. Da können allein schon die Medikamente und Nebenwirkungen krank machen.“ Hausärzte, so Studer, könnten oft besser als Fachärzte relativieren, was die Medizin kann – oder eben nicht kann. Denn nicht jede Behandlung sei zum Besten jedes Patienten. „Ein alter Mensch darf doch manchmal müde sein, muss nicht mehr so gut laufen können.“ Diese Relativierung, der rechtzeitige Verzicht auf gewisse Behandlungen, entspreche dem Geist von Palliative Care, sagt Christian Studer. Aber nur, wenn an Stelle einer hochspezialisierten Medizin die Schmerzmilderung, eine gute Beratung, wenn nötig auch Hausbesuche und Gespräche mit den Angehörigen treten. Studer spricht auch die anspruchsvolle Situation von pflegenden Angehörigen an: Diese sind gleichzeitig Betroffene – sie leiden mit dem erkrankten Angehörigen mit – und Betreuende; darauf sei Rücksicht zu nehmen. Wenn zu gegebener Zeit zum Beispiel der Brückendienst, das mobile Palliative Care-Team, zu Hause notwendig werde, sei eine Klärung der Zuständigkeiten angesagt.

Mehrheitlich Grundversorgung

Die Informations- und Beratungsstelle des Vereins Palliativ Luzern „versteht sich als Drehscheibe und Informationsplattform mit dem Ziel, allen Betroffenen die bestmögliche Betreuung zukommen zu lassen“, wie es auf der Website heisst. Patrizia Kalbermatten, Leiterin der Beratungsstelle, hat ein grosses Fachwissen und kennt die Angebote und Lücken der Palliative Care im Kanton Luzern (siehe weiter unten). Sie betont die Bedeutung der Grundversorgung in Palliative Care. Gemäss den Erkenntnissen aus anderen Ländern schätzen das Bundesamt für Gesundheit und die Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren, dass zwei Drittel aller Todesfälle Palliativpatienten sind. Man geht davon aus, dass von diesen nur jeder Fünfte wegen besonders komplexer Probleme oder seiner instabilen Situation spezialisierte Palliative Care-Angebote beansprucht, während 80 Prozent aller Palliative Care-Patienten in der Grundversorgung betreut werden können. Diese Leistungen erbringen u.a. niedergelassene ÄrztInnen, Spitexdienste, Pflegeheime und Akutspitäler – wobei auch bei diesen Fachpersonen entsprechende Kompetenzen in Palliative Care vorhanden sein müssen.

Und wie steht es tatsächlich um die Kompetenzen in Palliative Care bei den Grundversorgern – insbesondere um die zentrale Fähigkeit, offen mit den PatientInnen zu kommunizieren? Nicht bei allen Ärzten sind diese Kompetenzen gleich ausgeprägt, meint Patrizia Kalbermatten. Und wie auch der Hausarzt Christian Studer stellt sie fest, dass manche Ärzte nicht leicht über schwierige Diagnosen, über Grenzen ihrer medizinischen Möglichkeiten, gar über das Sterben sprechen. Da ist noch einiges zu verbessern. Deshalb bietet Palliativ Luzern neu verschiedene Weiterbildungsmodule für die Grundversorger an. „Das Interesse daran ist gross“, stellt Patrizia Kalbermatten fest.

„Reden, reden, reden“

Die Fachfrau zitiert den anerkannten Palliativmediziner und Publizisten Gian Domenice Borasio, der dafür plädiert, sich möglichst früh über das Lebensende Gedanken zu machen und über den Tod zu reden. „Reden, reden, reden“ hält auch Patrizia Kalbermatten für unumgänglich. Es gehe darum, seinem (Haus-) Arzt die Wünsche mitzuteilen, wie man behandelt werden und wie man dereinst sterben möchte. Rechtzeitig zu wissen, was Palliative Care alles vermag, könne vielen Menschen die Angst vor dem Sterben nehmen. Gut informierte PatientInnen sind also besser fähig, sich für den für sie richtigen Weg zu entscheiden. Oft gehe selbst der Wunsch nach einem begleiteten Freitod zurück, wenn Patienten die Möglichkeiten der Palliative Care kennten, sagt Patrizia Kalbermatten. Es ist ihr deshalb ein Anliegen, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.

Studie zur Palliative Care im Kanton Luzern

Der Autor einer (bisher noch nicht publizierten) Studie zur Versorgung in Palliative Care hat dafür die vorhandenen Strukturen im Kanton Luzern kritisch analysiert. Matthias Wächter, Co-Leiter Forschung Öffentliches Gesundheitsmanagement an der Hochschule Luzern Wirtschaft, betont, dass ein dichtes Versorgungsnetz über verschiedene Leistungsbereiche hinweg wichtig sei. Während für die Bevölkerung des Kantons der Zugang zur stationären spezialisierten Palliative Care Versorgung im Spital durch die Abteilung am Luzerner Kantonsspital und das Angebot an der Klinik St. Anna gut sei, gebe es Lücken in der mobilen Versorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten. „In der Stadt ist auch die ambulante Versorgung dank dem Brückendienst gut, und die Schnittstelle zwischen ambulanten und stationären Diensten hat sich inzwischen eingespielt“, stellt er fest. Hingegen sollten die Haushalte besser dafür sensibilisiert werden, rechtzeitig Hilfe anzufordern. Ein weiteres Anliegen ist, vermehrt Freiwillige einzubeziehen, zum Beispiel für Nachtwache oder Sterbebegleitung in den letzten Tagen oder eine frühzeitige Entlastung der Angehörigen.

In der Finanzierung besteht Handlungsbedarf

Die Kosten für die medizinischen und pflegerischen Leistungen der Palliative Care sind heute noch nicht vollumfänglich in den Tarifsystemen der Krankenversicherung abgebildet. Hier besteht noch Handlungsbedarf, sind sich die Fachleute einig. Zugleich sind die Kosten für andere notwendige Unterstützungsleistungen vor allem im ambulanten Bereich aus anderen Quellen zu decken. Zugangsbarrieren wegen der Kosten dürfe es nicht geben, sagt Matthias Wächter.

Auch wenn eine umfassende Palliative Care von manchen als „teuer“ bezeichnet wird, ist sie für viele PatientInnen und Angehörige ein Segen. Und Christian Studer sagt dazu: „Ja, Palliative Care kann teuer sein, aber viele Therapien sind es auch.“ Studien zeigen, dass Palliative Care nicht nur die Lebensqualität am Lebensende verbessert und in gewissen Situationen sogar die Überlebenszeit verlängert, sondern auch die Behandlungskosten reduziert.


Palliative Care-Angebote im Überblick

Die wichtigsten Palliative Care-Angebote in Luzern seien hier kurz skizziert; weiterführende Informationen sind auf den entsprechenden Websites zu finden.

Brückendienst Spitex Stadt Luzern: Der Brückendienst ist ein mobiles Angebot für Palliative Care zu Hause, welches in komplexen oder instabilen Situationen die Grundversorgung (HausärztInnen, Basis-Teams der Spitex) unterstützt und ergänzt. Ein fachlich bestens ausgebildetes und erfahrenes Team von Pflegefachpersonen ermöglicht es Schwerkranken, daheim statt im Spital zu liegen und schafft, wenn Angehörige an ihre Grenzen stossen, gemeinsam mit ihnen tragfähige Lösungen. Dabei ist das Betreuungsnetz von Fall zu Fall individuell zusammengesetzt. Zum Angebot gehören alle wesentlichen Unterstützungsleistungen der Palliative Care, u.a. Beratung und Koordination aller Beteiligten; die fachliche Kontrolle und Beratung im Umgang mit Schmerzen und Beschwerden wie Übelkeit, Atemnot, Ängsten und Ernährung; Verabreichen von Infusionen, Nährlösungen, Chemo und andern Medikamenten. Der Brückendienst organisiert auch psychosoziale und spirituelle Betreuung, kann beim Verfassen von Patientenverfügungen beraten und Kranke und ihre Angehörigen beim Sterbeprozess begleiten. Wenn erwünscht, wird den Angehörigen auch nach dem Tod Unterstützung angeboten. Im Hintergrund stehen dem Team spezialisierte Fachpersonen für Beratung in bestimmten Fragen zur Verfügung. - Zur Website

Palliative Care Eichhof: Die stationäre Palliativabteilung im Pflegeheim Viva Luzern Eichhof mit sieben Betten steht schwer kranken Menschen aus der Stadt und Agglomeration Luzern offen. Eine individuell abgestimmte Begleitung ist temporär oder langfristig möglich. Neben der medizinischen und pflegerischen Behandlung zur Schmerzlinderung und Beschwerden wie Atemnot oder Übelkeit sorgt das Palliative Care-Team im Eichhof auch für die Begleitung der Angehörigen und Freunde. Spirituelle und psycho-soziale Unterstützung gehört dazu, für Angehörige auf Wunsch auch über den Tod der Patienten hinaus. Es gibt in der Abteilung ausschliesslich wohnlich eingerichtete Einbettzimmer. - Zur Website

Schwerpunktabteilung Palliative Care im Luzerner Kantonsspital: Diese spezialisierte stationäre Abteilung ist ein Angebot für Menschen mit fortgeschrittenen lebensbedrohlichen Erkrankungen und Sterbende. Auch hier stehen umfassende medizinische und pflegerische Leistungen zur Schmerz- und Symptombehandlung zur Verfügung; Beratung von PatientInnen und Angehörigen gehört dazu. Das interprofessionelle Team bilden spezialisierte Ärzte, Pflegefachpersonen, Ernährungsberater, Sozialarbeitende, Psychologen, Seelsorger, ergänzt mit ehrenamtlichen Sitzwachen. Ziel des Palliative Care-Teams im Luzerner Kantonsspital ist, die PatientInnen zu stabilisieren, damit – wenn es möglich ist – sie wieder nach Hause entlassen oder aber in der Palliativstation des Pflegeheims Eichhof weiterbetreut werden. - Zur Website

Broschüre Palliative Care des LUKS als PDF

Umfangreiches Informationsmaterial ist verfügbar bei Palliativ Luzern oder beim Bundesamt für Gesundheitswesen.

Zum Schluss seien zwei Bücher des bekannten Palliativmediziners Gian Domenico Borasio zur Lektüre empfohlen: „selbst bestimmt sterben“ C.H.Beck 2014, sowie „Über das Sterben. Was wir Wissen. Was wir tun können. Wie wir uns darauf einstellen.“ Schweizer Ausgabe. dtv 2014

9. September 2015