Die schmutzige Seite des Bankwesens

Von Marco Meier

In über dreissig Jahren Journalismus sind einige Texte zusammen gekommen. Mehrheitlich liegen diese bei mir ungeordnet in Plastikmäppchen und versperren den Platz für Neues. Soll man das alles nun weiter aufbewahren, wegschmeissen oder vielleicht doch digitalisieren? Vater, bald 90, hat das gleiche Problem. Was soll einst, fragt er immer mal wieder, mit all den Dokumenten über die drei Generationen Möbelfirma passieren, was mit den militärischen Papieren, die sich auf seinem Weg zum Obersten der Kavallerie angesammelt haben? Wir sind alle etwas ratlos. Das ist wohl typisch fürs Älterwerden.

Ab und zu nehme ich einen alten Text hervor, um ihn allenfalls zu entsorgen. Irgendwie waren wir als junge Schreiber schon deutlich härter in Sprache und Urteil. Vor 25 Jahren habe ich eine Kolumne über den Sonderfall Schweiz verfasst. Der Text wurde in einem Club des Schweizer Fernsehens zitiert. Man nannte mich einen Nestbeschmutzer. Ich kritisierte in jenem Artikel, dass wir uns zuwenig um die „schmutzige Seite“ unseres Bankwesens kümmerten: „Wer in diesem Land kritisiert, dass man sich mit den Geldern der gesamten Diktatorenbrut dieser Welt und mit Drogengeld skrupellos den satten Bauch erkauft, wer hier von Moral oder Ethik spricht, der ist ein Tor, ein Nestbeschmutzer oder dröselnder Kirchgänger. Die Zeremonienmeister unseres Wohlstands, die Bankdirektoren erster Güte, die Sennen, Jekers und Konsorten, die halten uns mit immer schrilleren Erfolgszahlen bei Laune. Und erteilen uns im Werbeblock des Schweizer Fernsehens und in halbseitigen Zeitungsinseraten jüngst wieder hübsch gekämmt und wirklich nett die Absolution: Gehet hin in Frieden und fürchtet euch nicht. Geldwäscherei? Nie gehört. (...) Und keine Krise kann uns etwas anhaben. Im Gegenteil. Das Säbelrasseln des Saddam Hussein im Nahen Osten portierte unseren Schweizerfranken über Nacht zur Krisen-Währung Nummer eins. Der Mechanismus hat Tradition, spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg. Fast sieht es so aus, als würden sich die Gelder aus aller Welt schier eigendynamisch angesichts von Problemen aller Art Richtung Helvetia flüchten.“

Das war bestimmt nicht sonderlich sanft formuliert. Aber seit Jahren zeigt sich bald jede Woche von neuem, dass die Realität noch viel schlimmer ist. Seit die UBS vom Bund, d.h. vom Schweizervolk gerettet werden musste, vergeht kaum ein Tag, an dem hierzulande nicht wieder irgendeine Bank mit krummen Touren in Milliardenhöhe von sich Reden macht. Was die Linke regelmässig kritisierte und einst von bürgerlicher Seite flugs mit „Moskau einfach“ quittiert wurde, gehört medial mittlerweile zum täglichen basso continuo. Selbst mein alter Herr Vater, der unsere Banken sonst durch alle Stürme und Krisen hindurch in Schutz nahm, ist heute entrüstet und findet, die wirklichen Netzbeschmutzer und Verräter dieses Landes sässen in Tat und Wahrheit in den Chefetagen dieser Banken selbst. Weder der Kollaps der UBS, noch die Wirtschafts- und Finanzkrise der letzten Jahre genügten, echte Selbstkritik und Remedur anzuregen. Neuerdings wird in den USA erneut gegen UBS und Credit Suisse ermittelt, weil der Verdacht besteht, die beiden Banken hätten systematisch den Goldkurs manipuliert. Und was jüngst über die Geschäftspraktiken des Schweizer Ablegers der englischen HSBC ruchbar wurde, übersteigt an krimineller Energie so ziemlich alles, was bis heute bekannt war. Präsident und Konzernchef sprachen von „Schmach und Schande, die die Tochter in der Schweiz der Bank gebracht hätte“. Gleichzeitig liess sich CEO Stuart Gulliver gerne durch die Schweizer Kollegen über Strohfirmen in Panama auf kreative Lösungen für das Verstecken seiner Bonuszahlungen vor dem Fiskus bringen.

Verlogener geht es nicht mehr, denkt man. Aber vielleicht sind nur wir kleinen Bürgerinnen und Bürger so naiv, zu glauben, irgendwann könnten unsere Bänker wieder zu ihrem redlichen Handwerk zurück finden. Vielleicht müssten wir mit zivilem Ungehorsam reagieren und einmal einfach unsere Steuern nicht bezahlen. Das tun die dort oben schliesslich auf ihre Art und Weise auch – und zwar systematisch.
27. Februar 2015