Wer sich als Paar nur dann und wann sieht, verbringt die gemeinsame Zeit vielleicht bewusster. Bild: Freepik

Wenn es Paaren räumlich zu eng wird

Für einige Paare gibt es auch ein Zuviel an Nähe. Deshalb schlafen oder wohnen sie getrennt. Wann hilft es, wann schadet es? Teil 1 der Serie «Getrennt schlafen, getrennt wohnen».

Von Eva Holz

Für Loki und Helmut Schmidt sollen separate Schlafzimmer das Geheimnis ihrer Ehe gewesen sein. «Das ist mein Schlafzimmer und das da drüben ist seins», erfährt man mitunter auch von weniger Prominenten, wenn diese anlässlich eines Besuchs durch ihre vier Wände führen. Vor so viel Emanzipation nickt man wortlos und ehrfurchtsvoll, aber eigentlich möchte man fragen: Schnarcht einer von euch beiden? Hat sie dir jeweils die Decke weggezogen? Habt ihr sonstige Unverträglichkeiten?

Warum man getrennt schläft, bleibt vielfach Privatsache. «Nach aussen hin werden getrennte Schlafzimmer nicht gerne kommuniziert», bestätigt Psycho- und Paartherapeutin Christine Geschke im Gesundheitsmagazin AOK. «Es wird unterstellt, dass dieses Paar sich nicht mehr viel zu sagen hat, häufiger streitet und sowieso schon lange keinen Sex mehr pflegt. Diesen Zuschreibungen möchte man sich nicht aussetzen.»

Geschke glaubt, dass es viel mehr Paare mit getrennten Schlafzimmern gibt, als man vermuten würde. Zusammenfassend meint sie: «Nach meiner Erfahrung hat jedes Paar eine eigene Nähe-Distanz-Gleichung. Manche brauchen das gemeinsame Schlafen, um sich verbunden zu fühlen. Andere haben ein grösseres Autonomiebedürfnis, fühlen sich aber nicht minder verbunden mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin.»
 
Zwei Betten bedeuten nicht Rettung
Paare mit getrennten Zimmern können sich gegenseitig besuchen und dann wieder in ihr eigenes Bett kriechen. Macht das eine Beziehung spannender? Paartherapeut Eric Hegmann in einem «Blick»-Artikel: «Wenn Beziehungen scheitern, dann meist aufgrund von einem Mangel an Nähe – körperlich und emotional. Deshalb wären getrennte Betten zur Rettung der Beziehung nicht meine erste Wahl».

Das Wohltuende am gemeinsamen Bett streicht auch Schlafforscher Gerhard Klösch in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (FAZ) heraus. Viele Paare würden automatisch lernen, nebeneinander gut zu schlafen. Man stelle sich unbewusst aufeinander ein. Messbar sei sogar, dass sich Blutdruck und Herzschlag anglichen in der Nacht, was einen blutdrucksenkenden Effekt habe. «Schlafen stärkt die Paarbindung. So viele Stunden miteinander wie im Bett verbringen Paare sonst nie.» Die Präsenz des anderen sei wichtig für das subjektive Gefühl von Schutz und Geborgenheit.

Das Wichtigste: ein gesunder Schlaf
«Für viele sind und bleiben getrennte Schlafzimmer ein No-Go. Die Vorstellung darüber, dass sich ein Paar das Bett teilt, ist in unserer Gesellschaft fest verankert. Es gilt als normal», erklärt die Luzerner Sexualtherapeutin Linda Wüthrich im Interview auf der Online-Plattform Zentralplus. «Ich bin aber überzeugt: Eine Beziehung kann sehr wohl funktionieren, wenn man getrennt schläft. Das ist kein Indiz für eine gescheiterte Beziehung und muss auch nicht in eine Trennung münden. Paare können physische oder psychische Nähe gerade auch ausserhalb des Schlafzimmers anders leben. Man muss nur neue Formen von Nähe und Intimität finden.»

Interessant ist auch der Aspekt des «gesunden Schlafens». Im Alter sind Schlafstörungen wahrscheinlicher, was sich auf die gemeinsame Nachtruhe negativ auswirken kann. «Meist wünschen sich Frauen getrennte Schlafzimmer, da diese oft den leichteren Schlaf haben», sagt Hegmann. Wenn die Umstände keinen erholsamen Schlaf im gemeinsamen Bett ermöglichen, dann seien getrennte Schlafzimmer auf Dauer sicher weniger belastend als permanente Müdigkeit und Gereiztheit.

Getrennte Wohnungen: mehr Zeit für sich
Neben getrennten Schlafzimmern sorgen auch getrennte Wohnungen für Diskussionsstoff. «Living apart together» (LAT), also getrennt zusammenleben, ist aber keine Neuerfindung. Paare mit ausgeprägter Individualität können sich unter Umständen gar nichts anderes vorstellen. Dazu gehörten Simone de Beauvoire und Jean Paul Sartre in den 1960er-Jahren, und ein anderes prominentes Paar lebt es laut US Weekly heute vor: Victoria und David Beckham, seit 23 Jahren verheiratet, sollen in ihrem Haus unterschiedliche Flügel bewohnen.

«Es gibt Menschen, die haben ein relativ grosses Distanz-Autonomie-Bestreben und die brauchen einfach Zeit für sich. Und diese Zeit für sich bedeutet auch wirklich für sich und nicht, dass der andere im Nebenraum ist. Allein die Tatsache, dass der andere im Nebenraum ist, ohne ihn zu sehen, ist für diese Menschen schon zu viel. Die brauchen wirklich die Zeit ganz für sich alleine», bringt es ein Bericht in «Welt online» auf den Punkt.

Wer sich nur dann und wann sieht, verbringt die gemeinsame Zeit gewiss bewusster. In der Regel freut man sich nach der «Abstinenz» wieder aufeinander, hat sich einiges zu erzählen, ist neugierig, nimmt sich Zeit für längere Gespräche. Ausserdem verliert der Alltagsstress an Bedeutung.

Ohne Vertrauen läuft nichts
Getrenntlebende Paare würden ihr Sexualleben häufiger als erfüllt empfinden, schreibt Sara Peschke in der «Süddeutschen Zeitung». Gleichzeitig weist sie auf die Gefahr der Entfremdung hin. «Diese Beziehungen gelten als weniger stabil als konventionelle Beziehungen. Es ist schliesslich sehr viel leichter, sich zu trennen, sobald etwas nicht gut läuft, wenn jede Person schon in ihrer eigenen Wohnung ist.» Wer sich auf ein solches Lebensmodell einige, der oder dem müsse klar sein, dass es Aufwand koste, die Beziehung zu pflegen. Die laufe dann nicht wie selbstverständlich nebenher, sondern man müsse viel und gezielt kommunizieren. «Und es muss eindeutig geklärt sein, ob das für beide Personen wirklich eine praktikable Beziehungsform ist.»

Worum geht es also letztlich – beim Blick auf Schlafzimmer und Wohnform? Judith Gastner, wissenschaftliche Leiterin der digitalen Plattform «PaarBalance», fasst es in der «Süddeutschen» so zusammen: «Sich gegenseitig Raum zu geben, erfordert zum einen Vertrauen. Aber auch eine ehrliche Antwort auf die Frage: Fehlt mir etwas in der Beziehung – oder eher in meinem Lebensentwurf?» Es gehe nicht um die Chance auf erotische Abenteuer oder einen Egotrip, sondern darum, den geliebten Menschen dabei zu unterstützen, das zu werden, was er sein möchte.

Teil 2: «Sich zu sehen, ist jedes Mal eine Freude»

Teil 3: «Mit räumlicher Distanz Klarheit erlangen»

26. September 2023 – eva.holz@luzern60plus.ch

Diese dreiteilige Serie ist zuerst im Magazin «active&live» erschienen.