Corona im Alltag (13):

Der Chor in meinem Wohnzimmer

Von Erika Frey Timillero
Wir dürfen aufatmen, wenigstens ein bisschen. Gestern hat der Bundesrat beschlossen, den Lockdown stufenweise zu lockern. Zuerst aber noch die bittere Pille: erst nach einer Verlängerung der Massnahmen um eine Woche.

Für mich war gestern ein erfreulicher Tag. Am Nachmittag verbrachte ich zwei Stunden auf einer einsamen Bank lesend im Freien und am Abend traf sich der Chor der Nationen, in dem ich mitsinge, zum ersten Mal zur Probe nach mehreren Wochen. Virtuell natürlich, der Internet-Applikation Zoom sei Dank. Dutzende meiner Mitsängerinnen und Mitsänger fanden sich in meinem Wohnzimmer zum Singen ein – ein Erlebnis der besonderen Art!

Unser Chorleiter Bernhard Furchner, eingerahmt vom Dachfenster seines Studios mit Abendhimmel, sprühte vor Energie, selbst ohne Resonanz aus den Chorreihen, nur unsere winzigen Gesichter neben- und untereinander auf dem Bildschirm vor Augen, jedes vor dem Hintergrund der eigenen vier Wände. Unsere Stimmen hörte er nicht. Diese zu einem mehr oder weniger harmonischen Ganzen zusammenfliessen zu lassen, übersteigt die technischen Möglichkeiten von heute. So feilten, nach dem üblichen Einsingen, die einzelnen Stimmregister zuerst an ein paar Takten, und anschliessend übten wir die Aussprache von zwei Liedern. Gestern waren das kurdische Lied „Ez keçikek gundî me“ und das schwedische Lied „Uti vår hage“ an der Reihe.

Auch wenn sich der musikalische Nutzen einer digital abgehaltenen Probe in Grenzen halten mag, ist der zwischenmenschliche doch gross. Der Gemeinschaftssinn und die Motivation werden geweckt. Das ist nicht wenig in dieser schwierigen Zeit. Als wir uns am Schluss voneinander verabschiedeten und ich den Laptop hinunterfuhr, war es plötzlich sehr still im Wohnzimmer. Aber es war keine bedrückende Stille.

Zurück zur bundesrätlichen Verlautbarung: Obwohl noch offen ist, wie die Lockerung der Massnahmen vonstattengehen soll, kam die Botschaft doch pünktlich zum Fest der Auferstehung, das in unserem Kulturkreis ja nicht nur für Gläubige Symbolkraft hat. Wir dürfen hoffen, dass unser Leben irgendwann wieder einen normaleren Lauf nehmen wird. - 9. April 2020