Caroline Fux: «Beide Geschlechter sollten sich damit auseinandersetzen, dass Sexualität im Alter nicht mehr so ist, wie man das in jungen Jahren gewohnt war.» Bild: Aissa Tripodi

«Man muss beim Sex rein gar nichts»

Caroline Fux (40) beantwortete beim «Blick» während zehn Jahren Fragen rund um Sex, Liebe und Beziehung. Jetzt führt sie eine eigene Beratungspraxis (carolinefux.ch). Die Psychologin lic. phil., Sexologin (MA) und Autorin gibt im Interview aufschlussreiche Tipps.

Inteview Eva Holz

Sie haben Menschen in allen Alterskategorien bei sehr persönlichen Problemen beraten. Wie gross war der Anteil der über 50-Jährigen?

Ich habe nie eine Statistik geführt, aber ich schätze, dass mindestens ein Drittel aller Fragen von Menschen aus dem Segment 50plus gestellt wurden. Die älteste Person, die geschrieben hat, war Mitte 90. Es ist ein absoluter Mythos, dass sich Menschen in der zweiten Lebenshälfte weniger für Sex- und Liebesthemen interessieren oder dass sie keine Fragen dazu haben.

Welche Sex-Probleme beschäftigen Frauen und Männer im fortgeschrittenen Alter?

Das ist unglaublich vielseitig. Klar gibt es Themen, die sehr deutlich mit dem Alter zu tun haben. Erektionsstörungen werden beispielsweise ab 50 statistisch gesehen markant häufiger, bei den Frauen sind die Wechseljahre und damit verbundene Veränderungen ein Thema. Überhaupt müssen sich beide Geschlechter damit auseinandersetzen, dass sich der Körper in der Sexualität nicht mehr so anfühlt und verhält, wie man das in jungen Jahren noch gewohnt war. Sexualität in der zweiten Lebensphase hat aber nicht nur mit Abbau zu tun. Ich habe eine beträchtliche Menge von Zuschriften von älteren, ja betagten Menschen bekommen, die sich, man kann es nicht anders sagen, bis über beide Ohren verknallt hatten und nicht mehr ein oder aus wussten deshalb.

Die Libido, also Lust auf Sex, kann demnach auch im Alter unterschiedlich spielen?

Die Libido eines Menschen hängt von ganz vielen verschiedenen Dingen ab. Man spricht hier von biopsychosozialen Prozessen. Es geht also um Körper, Geist und Zwischenmenschliches. Was das genau für eine Person heisst, muss man individuell anschauen und aufschlüsseln.

Welche Formen von Sex schlagen Sie als Fachfrau vor, wenn körperlich nicht mehr alles so geschmiert läuft wie früher?

Ich halte äusserst wenig von allgemeinen Tipps, was Sex angeht. Statt nach Patentrezepten zu suchen sollte man als Beraterin oder Berater erst klären, was sich die Person konkret wünscht und wie sie aktuell Sex lebt. Wie spielen Körper, Geist und Soziales zusammen? Was hält zurück? Was wird vermisst? Da kann es auch darum gehen, komplett überhöhte Erwartungen auf den Boden zurück bringen. Was ebenfalls häufig vorkommt, ist, dass sich jemand unbewusst eine eher kräfteraubende oder leistungsorientierte Sexualität angeeignet hat. Das mag in jungen Jahren noch geklappt haben, aber irgendwann kommt der Körper nicht mehr mit. Es bräuchte vielleicht eine sanftere, fliessendere Sexualität.

Es gilt also, neue Techniken auszuprobieren und sich so den Umständen anzupassen?

Durchaus. Ein klassisches Beispiel bei den Männern ist, dass sie beim Masturbieren mit viel Druck arbeiten. Lässt die Empfindungsfähigkeit irgendwann in einem komplett normalen Rahmen nach, steigern sie den Druck so weit, bis es irgendwann kippt und gar nichts mehr geht. Erst recht beim Paarsex. Bei Frauen ist ein ganz häufiges Thema, dass sie gar nie richtig für sich herausgefunden haben, was ihnen Lust macht oder wie Sex ablaufen muss, dass er sich für sie lohnt. Da ist es nichts als logisch, dass sich so jemand irgendwann sagt: «Wozu das Ganze? Das mache ich nicht mehr mit.» Erst recht, wenn vielleicht Hindernisse wie Schmerzen auftauchen.

Soll man mit dem Partner, der Partnerin über Sex reden, damit er besser wird?

Unbedingt! Ich hatte bisher noch keinen einzigen Hellseher, keine einzige Gedankenleserin in meiner Beratung. Ich höre oft das Argument, dass man Sex einfach machen soll, statt darüber zu reden. Theoretisch klingt das super, funktionieren tut es selten. Gespräche schaffen Nähe und ermöglichen Wachstum und Entwicklung. Menschen verändern sich. Wer nie über Sex redet, wird es nie schaffen, persönliche Entwicklungen im Einklang zu machen und Sexualität spannend und befriedigend zu halten.

Muss man bis zum Sterbebett Sex haben um sich normal, ja glücklich zu fühlen?

Man muss beim Sex rein gar nichts. Übrigens auch nicht als Teenager. Es gibt ganz viele Menschen, die äusserst selten oder gar nie Sex haben und damit wunderbar glücklich sind. Es geht in diesem Lebensbereich um Genuss und Erfüllung. Wer das primär über Dinge wie Häufigkeit oder Ausgefallenheit definiert, fährt in der Regel nicht besonders gut. Eine der grössten Herausforderung im Alter ist, dass sich beide Partner einig sind. Das ist für viele Paare die wahre Knacknuss.

26. Oktober 2021 – eva.holz@luzern60plus.ch

Dieses Interview ist auch im Schweizer Magazin «active&live» erschienen.