Hier spricht man Deutsch

Zwischen Deutsch schreiben und Deutsch sprechen klaffen Welten. Dies wird mir während eines mehrmonatigen Berlin-Aufenthaltes wieder einmal in aller Deutlichkeit bewusst.

Von Eva Holz

Mein schriftliches Deutsch ist gewiss nicht lupenrein, aber mit dem Reden ist es noch viel schlimmer. Kaum habe ich in einem Geschäft, an einem Anlass, im Taxi den Mund aufgemacht, fragt man mich in wohlwollend-amüsiertem Unterton: Kommen Sie aus der Schweiz? Dabei gebe ich mir doch alle Mühe, ein anständiges Hochdeutsch zu sprechen. Längst sage ich Hotell und nicht Hootel, und ich befolge die Anweisung meiner bayerischen Schwägerin, wonach man fragt: Gibt es noch Nachschlag? Und nicht: Hat es noch etwas von diesem feinen Huhn?

Wo liegt also das Problem mit dieser Hochsprache, die laut und deutlich zu sprechen wir doch ab der ersten Primarklasse gelernt hatten?  Der Graben muss im Rachen liegen – und vielleicht auch weiter oben, im Gehirn. Getrauen wir uns nicht recht? Wollen wir nicht? Kokettieren wir gar? Oder ist da mit dem urschweizerisch geprägten Sprachzentrum etwas nicht in Ordnung? Übung macht den Meister, hätten meine Grosseltern, die beide Deutsche waren, gelassen gesagt. Das stimmt gewiss, aber nicht jede Schweizerin wird Deutschlandkorrespondentin am Fernsehen SRF oder Schauspielerin am Berliner Ensemble.

Um nicht dauernd auf die Herkunft angesprochen zu werden, habe ich begonnen, das eine oder andere aus dem alltagssprachlichen Wortschatz der Deutschen hemmungslos zu kopieren. Zum Beispiel ein gewisses Füllwort. Nicht äh oder eemm dienen hier für den Übergang vom einen zum nächsten gesprochenen Satz, sondern genau. Vorgelebt hat mir dies nicht zuletzt ein junger, gut assimilierter Schweizer Bekannter, der mit seiner Familie seit einigen Jahren in Neukölln lebt: Wir gehen jetzt mal nach Hause, um uns aufzuwärmen. Genau. Dann schauen wir weiter.

Es klappt inzwischen schon ganz gut. Mit dem Taxifahrer, der mich letzthin spät abends von Mitte nach Hause in den Wedding fuhr, hatte sich ein nettes Gespräch ergeben. Natürlich getraute ich mich nicht, ihn nach seiner Herkunft zu fragen. Das gehört sich ja leider nicht mehr. Als es vor meiner Haustür zum Bezahlen kam, fragte er mich: «Kommen Sie aus der Schweiz?» Ja, ja. «Aus welchem Teil?» Aus der Innerschweiz, äh Zentralschweiz. «Spricht man dort Deutsch?» Mir stockte der Atem und ich sagte: genau.

13. Dezember 2021 – eva.holz@luzern60plus.ch