Beziehungen im Alter (4): Der Tod des Ehepartners - wie wieder alleine leben?

"Jetzt müsste es doch besser werden"

Der Tod kam an einem Sonntagmorgen. Ohne Vorankündigung. Gemein und zielführend. „Schlag auf Schlag!“ sagt Margrit Stöckli heute.

Von Toni Zwyssig  (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Peter und Margrit sitzen nach dem Frühstück in ihren Arbeitszimmern am Computer, im neuen Heim mit Blick auf den Pilatus. Plötzlich ein Knall. Margrit stürzt in Peters Zimmer. Er liegt am Boden und ist nicht ansprechbar. Von da an habe sie reagiert wie auf Schienen, wie ein Automat  – auch in den nächsten Tagen und Wochen.

Notruf – Arzt – Ambulanz – Spital. Der Befund ist schnell und eindeutig: Totaler Riss der Aorta. Lebensbedrohend. Sofortige Operation.

Peter wird halbseitig gelähmt bleiben. Er ist nach der Operation kurz ansprechbar und realisiert das: „Scheisse!" Margrit und die beiden Söhne Manuel (34) und Marco (28) sind am Krankenbett. Er erkennt sie, nennt sie beim Namen, taucht wieder weg und stirbt in der folgenden Nacht.

Sein Wunsch war klar

Margrit und Peter haben ein Jahr zuvor eine Patientenverfügung verfasst. „Das war in diesem Moment eine grosse Hilfe!" Peters Wunsch war klar: „Keine lebensverlängernden Massnahmen in einer solchen Situation" und „Ein Fest – keine Messe!" Über dieses Ritual haben beide in den Jahren zuvor ausführlich gesprochen.

„Nach der Trauerfeier kam das grosse Loch." Margrit fragt sich: „Und jetzt?" Es beginnt eine schwierige Zeit. Zum Glück hat sie ein gutes Umfeld: Söhne, Kolleginnen und Kollegen. Trotzdem, sie muss das Alleinsein lernen, Einsamkeit ertragen. Sie hat depressive Momente und den Gedanken: „Ich gehe auch." Sie sucht professionelle Hilfe, nimmt Psychopharmaka. Mit wenig Erfolg. Sohn Marco wohnt vorübergehend wieder zu Hause. Nach einem Jahr zieht er in eine eigene Wohnung.

Im Zwiegespräch

Sie hadert: „Nach einem Jahr müsste es doch besser werden."  Aber Peter ist immer noch präsent. Sie zündet jeden Morgen vor seinem Foto eine Kerze an, hält Zwiegespräch mit ihm, tröstet sich: „Für ihn war das Sterben gut. Ein Weiterleben im Rollstuhl wäre sehr schwierig geworden. Für ihn und für mich. Hat er vielleicht sogar gemerkt, dass da etwas auf ihn zukommt? Wieso hat er mir nichts gesagt? Wollte er mich schonen?"

Sie liest Dutzende von Büchern und Artikeln, sucht Rezepte von Ratgebern und merkt: „Ich bin nicht die Einzige." Sie lernt die „Phasen der Trauerarbeit" von Verena Kast kennen. Das und noch viel mehr möge wohl alles stimmen – aber jeder Fall liege anders. Und alle Tipps und Rezepte seien ohne Gewähr!

Sie stürzt sich in die Arbeit. Kommt kaum aus dem Büro hinaus. Heute sagt sie: „Ich hätte unter die Leute gehen sollen.".

Reise nach Indien

Dann die Idee: Indien - Meditieren! Sie kennt das Land von früheren Aufenthalten. Dort gibt es Ashrams, klosterähnliche Meditationszentren. Sie informiert sich, bucht und verreist. Dieser Ashram aber ist strenger, archaischer als alles was sie bisher erlebt hat. Da habe es sie „geschletzt".  Das Bild vom sterbenden  Peter im Spital sei ständig da gewesen. Die Inder und ihre Kultur sagen: „Nicht weinen. Das stört die Toten." Damit habe sie gar nichts anfangen können. „Ich war auf mich selbst geworfen und wurde depressiv." Heute weiss sie: „Allein weggehen, das würde ich nicht mehr tun."

Nach der Heimkehr muss sie feststellen: Trauerarbeit ist anders als professionelles Projektmanagement. „Es wird nicht automatisch leichter. Du musst dir  Zeit geben und akzeptieren, dass nicht alles wieder gut wird, weder durch  Rezepte noch  durch blosses Aussitzen."

Demnächst wird sie einen lang gehegten Traum realisieren und mit einem Sprach-Aufenthalt ihr Englisch optimieren oder Spanisch lernen. Daheim will sie sich bei „Kriens integriert" umschauen und klären, ob sie sich da engagieren will.

Zwiegespräche mit Peter führt sie immer noch, das Ritual mit den Kerzen tue ihr gut. Peter glaubte – anders als sie - nicht an ein Etwas nach dem Tod. Sie aber fühle: „Wahrscheinlich ist er gar nicht so weit weg. Ich sage ihm: Gell, es gibt trotzdem so etwas wie eine höhere Macht. Ich kann mir das zwar auch nicht richtig vorstellen. Zum Glück!" - 23.12.2018

Die bisherigen Beiträge zu "Beziehungen im Alter"

 

Zu den Personen

Peter Imgrüth, 1949 – 2016. Gelernter Maschinenschlosser, lässt  sich nach der Lehre zum  Primarlehrer ausbilden, unterrichtet im Luzerner Hinterland und während 30 Jahren Leiter der Schulentwicklung beim kantonalen Erziehungsdepartement.

Margrit Stöckli, Jahrgang 1950. Werbefrau mit eigener Kommunikations-Agentur. Manuel und Marco, ihre beiden Söhne aus erster Ehe, wachsen bei Peter und Margrit auf. Peter Imgrüth und Margrit sind seit 25 Jahren ein Paar.

Die Trauerphasen nach Verena Kast:
http://psychologie-news.stangl.eu/527/die-trauerphasen-nach-verena-kast

toni.zwyssig@luzern60plus.ch