Bigglibäggli und blaue Jäggli

Text: Hans Beat Achermann Bild: Joseph Schmidiger

Da hängt es an der weissen Museumswand, grossformatig, Franz Fediers abstraktes Bild ohne Titel von 1959, davor sitzen rund 20 Personen im Halbkreis, einige in Rollstühlen, dahinter Betreuerinnen und freiwillige Begleitpersonen der Generation 60plus. Und zwischen dem Bild und den sieben demenzkranken Frauen vom Rosenberg steht die Museumspädagogin Brigit Meier. „Trotzdem: Menschen mit Demenz erzählen Geschichten“ heisst das Projekt der städtischen Fachstelle für Altersfragen, der Alzheimervereinigung und des Kunstmuseums Luzern.

Bilder rufen Erinnerungen wach, inspirieren zu Geschichten, wecken die Fantasie. Schon die erste Frage der Kunstvermittlerin, ob jemand zufällig denselben Jahrgang habe wie der Künstler Franz Fedier, schuf Identifikation: Auch zwei Anwesende hatten Jahrgang 1922. Und dann tauchten die Frauen langsam und noch zaghaft ein ins abstrakte Bild, bezeichneten vorerst die Farben: Rostrot, Écru, Orange und „Blau wie mein Jäggli“. Aus den Farben erwuchsen Geschichten, und manchmal blitzte die Angst auf, etwas Falsches zu sagen, doch falsch und richtig gab es nicht. Ziel der erstmals  durchgeführten Veranstaltung war es vielmehr, anhand des abstrakten Bildes eine Geschichte spinnen zu lassen: Es entstand ein blauer Mond und eine rote Nacht, und aus dem Hochhaus sah man auf einen Bahnhof, das Blau wurde zum Himmel und zum Wasser, und irgendwo stand ein Kreuz „nach dem man sich richten muss.“ Immer wieder animierte Brigit Meier die Betrachterinnen, die Gedanken und Assoziationen zu äussern. Zwischendurch ging die Fantasie (oder die Erinnerung) durch und ein so schönes Wort wie „Bigglibäggli“ fand im Bild Platz, und etwas war „mit Sternen bedacht“ oder rief die Erinnerung an Kinderverse hervor: „Inestäche, umeschloh….“

„Etwas, das man nicht immer sieht“

Eine der freiwilligen Begleiterinnen, die an einem Einführungstag vorbereitet wurden, protokollierte das Gesagte und erzählte es als Geschichte rückblickend und zusammenfassend, so dass das abstrakte Bild des gebürtigen Urners Fedier plötzlich nicht nur einfach farbig war, sondern voller konkreter Geschichten und Erinnerungen. Eine Betrachterin fasste es so zusammen: „Jedem das Seine“, eine andere meinte: „Öppis wo mer nid immer gsehd“, und eine Dritte meinte kurz und bündig: „Gefällt mir nicht.“

Zum Schluss wollten die Frauen noch weitere Bilder der laufenden Ausstellung „Collectionneurs“ anschauen, vielleicht, um noch weitere Geschichten aufkommen zu lassen, vielleicht einfach, um noch eine Weile die Abwechslung vom Heimalltag zu geniessen.

9. Juni 2016

Die nächsten Bildbetrachtungen für Demenzkranke finden am 21. Juni, 27. September, 25.Oktober und 29. November, jeweils 15-16 Uhr, wiederum im Kunstmuseum Luzern statt.

Interessierte melden sich bei kunstvermittlung@kunstmuseumluzern.ch

Kosten: Museumseintritt

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