Freiwilligenarbeit für Betagte

„Zeitvorsorge“ soll wie eine Art Sparkasse funktionieren, auf der ich mir die Stunden gutschreiben lasse, die ich in einem Freiwilligeneinsatz oder in der Nachbarschaftshilfe für Betagte leiste. Wenn ich später selber Unterstützung im Alltag brauche, kann ich mir dieses Guthaben auszahlen lassen, wiederum in Form von Zeit. Das ist die Idee hinter dem Projekt der Stadt St. Gallen.

Das Hauptmotiv für den Versuch liege in der demografischen Entwicklung, sagt die Projektverantwortliche Katja Meierhans: „In den nächsten Jahrzehnten wächst die Zahl der Pensionierten und der Hochbetagten. Doch wo sind die Betreuerinnen und Betreuer?“ fragt sie. Pflegepersonal sei immer schwieriger zu finden. Hier könnten Freiwillige, namentlich noch rüstige Renterinnen und Rentner einspringen. „In letzter Zeit ist die Betreuung im Alter immer stärker professionalisiert worden. Wir wollen versuchen, gewisse Teilleistungen wieder in den unentgeltlichen Bereich zurückzuführen und das mit Zeitgutschriften verbindlich honorieren“, sagt Katja Meierhans.

Pflegende Angehörige entlasten

Mit dem Projekt sehen die St. Galler Verantwortlichen auch die Möglichkeit, betreuende Angehörige entlasten zu können. Die Zeitvorsorge soll deshalb vor allem neue Gruppen zur Freiwilligenarbeit motivieren und nicht etwa die nach wie vor gut funktionierende innerfamiliäre Betreuung im Alter ersetzen.

 "Was Laien können"

Eine Sparmassnahme auf Kosten professioneller Betreuung also? Nein, in St. Gallen sollen Freiwillige nur solche Hilfen leisten, für die Laien tatsächlich geeignet sind: Einkaufen zum Beispiel, Fahrdienste, oder einfach da sein für andere, um der Vereinsamung entgegenzuwirken. Beziehung ist denn auch ein Schlüsselwort. „Ich bin überzeugt, die Qualität des Projekts liegt vor allem in den zwischenmenschlichen Beziehungen, die für alle Beteiligten ganz konkret erfahrbar wird: Für die Betreuenden wie für jene Menschen, die ihre Zeitguthaben später wieder einlösen. Oder anders gesagt: Das entstehende Sozialkapital ist mehr wert als das angesparte Guthaben auf dem Zeitkonto“, sagt Katja Meierhans.

Freiwillige sollen in die Betreuungsaufgabe eingeführt und begleitet werden. Neu sei auch das geplante Zusammenwirken von Profis und Ehrenamtlichen. Das spiegelt sich schon im Modell der Trägerschaft. Die Stadt St. Gallen will dafür eine Stiftung gründen, in der zum Beispiel Pro Senectute, Spitex und das Rote Kreuz mitwirken – Organisationen, die selbst in der Altersarbeit tätig sind.

Die Zielvorgabe ist ehrgeizig: Nach einer Startphase von zwei bis drei Jahren erhoffen sich die Verantwortlichen, dass rund 250 Freiwillige oder ca. zwei Prozent der Bevölkerung im Alter ab 65 mitmachen. In den Folgejahren wird ein weiteres langsames Wachstum erwartet. Wenn diese jungen Alten sich je um die hundert Stunden jährlich einsetzen, kommt eine ganz beachtliche Zahl von Betreuungsstunden – und von Zeitguthaben – zusammen. Es wird nicht ausgeschlossen, dass sich das System später allenfalls öffnen kann für andere – zum Beispiel Menschen mit Behinderung oder Familien mit Kindern.

Das Konzept ist in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sozialversicherung erarbeitet worden. Es stützt sich auf eine Machbarkeitsstudie, in der die lokalen Gegebenheiten in St. Gallen berücksichtigt wurden. „Zeitvorsorge“, so der vorläufige Name des Projekts, soll noch dieses Jahr umgesetzt werden, sobald das Parlament grünes Licht gegeben hat (voraussichtlich im März). Für die Geschäftsstelle der Trägerschaft ist ein Budget von 150 000 Franken jährlich vorgesehen. (2.2.2012)

 Marietherese Schwegler

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