Meinrad Buholzer. Foto: Joseph Schmidiger

Outsourcing – auf unsere Kosten

Meinrad Buholzer beschreibt, wie wir zu unseren eigenen Dienstmännern und Dienstfrauen geworden sind, bei den SBB, bei den Banken, bei der Post. Und überall erleben wir dazu einen Gebühren-Tsunami.

Von Meinrad Buholzer

Ihr Verschwinden bringe ich mit dem Luzerner Bahnhofbrand von 1971 in Verbindung; aber vielleicht spielt mir das Gedächtnis einen Streich. Doch erinnere ich mich, dass früher in grösseren Bahnhöfen Dienstmänner warteten, um beim Eingang unser Gepäck in Empfang zu nehmen und mit Zwischenhalt zum Zug zu bringen – oder vice versa. Heute gibts den Rollkoffer.

Schon früher kam, was man heute Grossverteiler nennt. Dort ging man nicht mehr mit dem Einkaufszettel an die Theke, um nach gemahlenem Kaffee zu fragen oder nach 200 Gramm Emmentaler. Man bediente sich selbst, die Verkäuferin wurde obsolet; bald wirds auch die Kassierin. In neuerer Zeit dann die SBB, die den Schalter, so es überhaupt noch einen gibt, möglichst weit vom Fussverkehr weg verlegt und uns die Arbeit des Billett-Lösens überlässt.

Und die Banken, die am liebsten gleich alle ihre Schalter schliessen würden. Meine Schwester, die 90 hinter sich, erhielt kürzlich eine Mahnung, die ihr zugestellte Bankkarte gefälligst zu aktivieren. Dass der Bargeldbezug am Schalter mit der gleichen Karte offenbar nicht als aktivieren gilt, ist ihr entgangen. Die Schalterdame (auch bald überflüssig) erklärte ihr, die Bank wolle, dass man das Geld am Bancomat beziehe. Als sie das tun wollte, war die neue Karte schon verfallen. Jetzt bekommt sie wieder eine neue, die sie wieder aktivieren muss…

Obwohl wir gezwungenermassen immer mehr Arbeiten von diesen Unternehmen, die uns permanent ihrer Kundenfreundlichkeit versichern, übernehmen, erleben wir anderseits eine wunderbare Gebührenvermehrung derselben.

Beispiel Post: Sandte man früher ein Paket ins Ausland, gabs zwecks Deklaration einen kleinen grünen Zettel, gratis. Tempi passati! Wer jetzt ins Ausland versendet, muss alle Angaben vorab online erfassen. Per App! Wer dazu nicht in der Lage ist, kann die Erfassung in der Postfiliale machen lassen, gegen eine Gebühr. Hoffnungslos naiv ist, wer glaubt, die Arbeit der Post sei durch die (vor allem bei Paketen) exorbitanten Portokosten abgedeckt.

Kürzlich legte uns der Pöstler ein Paket vor die Tür, das nicht für uns bestimmt war. Ich sandte eine Mail unter der Rubrik Reklamationen. Postwendend liess man mich wissen, dass ich das per Live-Chat erledigen oder eine App herunterladen könne. Sorry, mailte ich zurück, ist nicht mein Job.

Mit dem Gebühren-Tsunami der öffentlichen Hand – die eigentlich von unseren Steuern lebt, aber vergessen hat, dass sie für uns und nicht wir für sie da sind – wollen wir gar nicht erst anfangen. Wir kämen an kein Ende.

Weil wir am unteren Ende der monetären Nahrungskette sitzen und nicht weiter outsourcen können, sind wir zu unseren eigenen Dienstmännern und Dienstfrauen geworden – und werden dafür auch noch zur Kasse gebeten.

Was mir aber bei diesem anhaltenden Outsourcing und dieser Dauer-Optimierung wirklich «auf den Sack geht»(*): Dass man uns diese Mehrbelastung (arbeitsmässig und finanziell) mit einem Schwulst von geheuchelter Anbiederung schönredet. Wir sind einem Trommelfeuer von behaupteter Dienstleistung ausgesetzt. Man suggeriert uns Qualität, Transparenz, Planungssicherheit, permanenten Überblick über alles und jedes, Handy-Alarmierung beim Kauf eines Kaugummis per Kreditkarte, macht uns glauben, dass wir die Gebieter sind, deren Wünsche man von den digitalen Augen abliest, bevor wir überhaupt auf den Gedanken gekommen sind, uns etwas zu wünschen. Alles, gaukelt man uns vor, in unserem Interesse, zu unseren Diensten, um das Leben zu erleichtern – das sie uns in Wirklichkeit erschweren, weil wir die ganze Infrastruktur selber bereitstellen müssen, um von diesen so genannten Dienstleistern überhaupt noch bedient zu werden. Derweil sie uns munter immer weitere Gebühren abknöpfen.

(*) Man vermutete, dass der Ausdruck «auf den Sack gehen» nicht so vulgär ist wie er tönt, sondern (im vorliegenden Fall durchaus passend) auf den mittelalterlichen Geldsack zurück geht.

9. Juli 2021 meinrad.buholzer@luzern60plus.ch

 

Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.