Hans Beat Achermann. Bild: Joseph Schmidiger
Zwischen Chatbot und Matterhorn
Von Hans Beat Achermann
Vor kurzem kam in der Sendung «Kontext» des SRF2-Kultur-Radios ein Beitrag zum Thema «Das Alter neu denken». Ein sehr spannender Beitrag, der anregend neue Fragen stellte und überraschende Impulse gab. In diesen Tagen sind die Medien voll mit Beiträgen zum Thema Künstliche Intelligenz (KI), vor allem über die neue Software ChatGPT. Diese soll ganze Texte generieren und Fragen zu allen möglichen Themen beantworten können. Da nahm es mich wunder, was die KI zum Alter neu denken kann.
Der Versuch scheiterte kläglich bereits beim Erstellen eines Accounts. Denn offenbar wollen so viele Menschen zurzeit ihre Intelligenz auslagern und das Denken oder Schreiben einer unsichtbaren Maschine überlassen, dass das System völlig überlastet ist. Immerhin kann man sich auf eine Warteliste setzen lassen. Warten aber kann ich nicht, denn schliesslich wollte ich Sie in dieser Kolumne mit einem Text überraschen, der dann in der Pointe gegipfelt hätte, dass er eben nicht meinem Kopf entsprungen ist, sondern dem Chatbot. So bleibt mir nichts anderes übrig, als die Kolumne selbst zu schreiben und das Alter weiterhin selbst neu zu denken, vor allem das eigene Älterwerden.
Vorerst aber gibt mir zu denken, wohin diese Entwicklung führt. Noch ist mir der Nutzen von KI völlig unklar, doch das war auch vor dreissig Jahren so, als das Internet aufkam. Im Wort «künstlich» ist doch das Wort «Kunst» enthalten, und bis anhin habe ich Kunst immer als etwas Schöpferisches verstanden, als etwas zutiefst Menschliches. Gerade dazu ist aber KI nicht fähig, da das Individuelle fehlt, die unverkennbare persönliche Handschrift. Das tönt sehr kulturpessimistisch und ist es auch. Dazu fällt mir ein, dass eine eben in den USA publizierte Studie herausgefunden hat, dass Optimistinnen viereinhalb Jahre länger leben als Pessimistinnen. Das Ergebnis bezog sich allerdings nur auf Frauen. Wie wird man angesichts von KI zum Kulturoptimisten und also zum Lebensverlängerer?
Vielleicht hilft das weiter: Im neusten Briefmarkenmagazin «Die Lupe», das die Schweizer Post herausgibt, wurde die schönste Briefmarke 2022 gekürt. 14'160 Stimmen wurden abgegeben, gewählt wurde die Fr.-1.10.-Marke «Typisch Schweiz», auf der eine flatternde Schweizer Fahne am Mast, ein Alphornbläser, zwei Edelweiss sowie das Matterhorn abgebildet sind. Auch diese Bestellung ist gescheitert: Die typische Schweiz ist bereits ausverkauft. Da scheint sich neben dem Rösti- und dem Stadt-Land-Graben noch eine weitere Kluft aufzutun – zwischen dem Wunsch nach heiler Welt und der Begeisterung für einen Fortschritt fort vom eigenen Denken (und Schreiben).
Ich bestelle jetzt den Kleinbogen mit zehn Marken «Blume des Lebens». Im Bestellheft steht, dass der Blume des Lebens eine positive Energie nachgesagt werde. Könnte ja auch lebensverlängernd wirken.
Hier der Link zur Kontext-Sendung «Das Alter neu denken».
Hans Beat Achermann ist seit zehn Jahren Mitglied des Redaktionsteams von Luzern60plus. Er garantiert, dass der obige Text ganz ohne Hilfe von Künstlicher Intelligenz geschrieben wurde.
28. Januar 2023 – hansbeat.achermann@luzern60plus.ch