Meinrad Buholzer. Foto: Joseph Schmidiger

"Die Selbstfeier des Sekundären»

Von Meinrad Buholzer

Es gibt da die Geschichte von einem schönen Druckfehler. Ein Setzer hatte beim späteren Kultbuch von Marshall McLuhan («Das Medium ist die Botschaft») aus der Message eine Massage gemacht. Der Professor fand das toll und liess das Buch so erscheinen: «The Medium is the Massage». – Ein Medium, so liesse sich ergänzen, das sich selbst massiert. Der Gedanke drängt sich auf, wenn man sieht, wie sich die Medien über die Jahre zunehmend von einer kritischen Reflexion ihrer Arbeit verabschiedet und sie durch Eigenlob ersetzt haben. Allzu gerne und allzu oft klopfen sie sich auf die eigene Schulter.

Journalisten leisten zweifellos einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Sie helfen, uns zurechtzufinden in einer zunehmend unübersichtlicheren Welt. Und auch wenn ich dem Anspruch der so genannten «Vierten Gewalt» skeptisch gegenüberstehe (denn wo nimmt diese Gewalt ihre Legitimation her?), so hält sie uns doch im Grossen und Ganzen auf dem Laufenden über das nahe und ferne Geschehen. Die Dauerpräsenz vieler Medienleute im Welterklärungsmodus hat aber ihre Schattenseiten: Selbstgefälligkeit und Arroganz gehören dazu. Ganz abgesehen von gefeierten und preisgekrönten Reportagen und Interviews, die – wie sich nach Jahren zeigte – mit unlauteren Methoden zustande kamen (u.a. «Der Spiegel», BBC). Deshalb reagiere ich allergisch, wenn Medien und ihre Exponenten einer unkritischen Eigenwerbung verfallen. Beispiele solcher «Selbstfeier des Sekundären» (Günter Grass) aus einem nahestehendem Printmedium:

-  Am 8. April erhält Nik Hartmann aus Anlass seines Wechsels von der SRG zu CH Media Gelegenheit, sich lang und breit in einem Interview zu erklären. Im kollektiven Gedächtnis bleibt: dass er Leute, die trotz Lockdown wandern gehen, in seinem Jargon als «Tuble» bezeichnet.

- Am 11. April widmet ein Kolumnist der gleichen Zeitung Nik Hartmann «ein Dankeschön» und beklagt dabei den Abgang von «Stars» wie Hartmann, Patricia Laeri, Reto Scherrer, Roman Kilchsperger, Steffi Buchli und Jan Projer bei der SRG.

- Am 30. Mai feiert die Zeitung auf zwei vollen Seiten (in coronabedingt geschrumpften Ausgaben) den «schnellsten Journalisten der Schweiz», das «Aushängeschild des Schweizer Privatfernsehens», Markus Gilli, und lässt zehn Weggefährten der «TV-Legende» ihre Statements abgeben.

- Am 8. August erscheint, wiederum über zwei teure Zeitungsseiten hinweg, ein Schwanengesang über den Wechsel des Moderators Darius Rochebin von Radio Télévision Suisse (RTS) zu einem französischen Privatsender («Franzosen freuen sich auf `Federer des Interviews`»). Knapp drei Monate später liest man dann vom «tiefen Fall des welschen Starmoderators». Während man sonst gerne auf frühere Texte zur Person oder zum Thema verweist, verzichtet man in diesem Fall wohlweislich auf ein Link zur Lobeshymne vom August, denn jetzt ist die Rede davon, dass der «Federer des Interviews» in einer «Kultur des Schweigens» Mitarbeitende sexuell belästigt hat.

     Vielleicht wäre ein wenig mehr Zurückhaltung oder Bescheidenheit angebracht. Weitaus bedeutendere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, deren Leistungsausweise jene der obgenannten Halbgötter weit hinter sich lassen, haben Glück, wenn man ihnen gerade mal eine oder zwei Spalten oder auch nur eine Kurzmeldung zum Abschied widmet.

     Das Medium steht zwar schon per Definition im Mittelpunkt – zwischen dem Ereignis und dem Adressaten der Botschaft vom Ereignis. Aber dieser Mittelpunkt ist nicht Selbstzweck, sondern Dienst an der Vermittlung; so gesehen ist der Journalist ein Überbringer und kein Star.

     Das erinnert mich an Charles de Gaulle und wie er seine eigenmächtige und selbstherrliche Ministerrunde zusammenstauchte: Das Wort Minister, sagte er maliziös, leite sich von Ministrieren ab, von Dienen also, als Minister seien sie daher Diener des Staates und nicht seine Herren.

     Um auf die Medien zurückzukommen: «Nichts zeugt peinlicher vom fehlenden Augenmass als der Journalist, der im Glauben lebt, er sei nicht bloss Chronist, sondern mit seiner Schreibe auch aktiver Mitgestalter des Weltgeschehens.» Schrieb der im Mai verstorbene NZZ-Journalist Andreas Oplatka. - 1. Dezember 2020

meinrad.buholzer@luzern60plus.ch

 

Zur Person
Meinrad Buholzer, Jahrgang 1947, aufgewachsen in Meggen und Kriens, arbeitete nach der Lehre als Verwaltungsangestellter auf Gemeindekanzleien, danach als freier Journalist für die Luzerner Neuesten Nachrichten LNN. 1975 bis 2012 leitete er die Regionalredaktion Zentralschweiz der Schweizerischen Depeschenagentur SDA. Einen Namen machte er sich auch als profunder journalistischer Kenner der Jazzszene. 2014 erschien sein Rückblick aufs Berufsleben unter dem Titel «Das Geschäft mit den Nachrichten - der verborgene Reiz des Agenturjournalismus» im Luzerner Verlag Pro Libro.