Mit bewegten Bildern Geschichten erzählen: Filmemacher Beat Bieri.

Beat Bieri, Dok-Filmer:
Bewegte Bilder, die bewegen

Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Mehr als 50 Dok-Filme hat er für das Schweizer Fernsehen gedreht. Als Pensionierter dreht Beat Bieri jetzt ohne Auftrag, oder wie er selbst sagt: als Jungunternehmer mit eigener Firma Lindenfilm. «Das katholische Korsett» heisst sein neuster Film, den er zusammen mit Jörg Huwyler gedreht hat und der am 31. Januar in der Sternstunde Religion von SRF ausgestrahlt wird. Es geht um den mühevollen Weg zum Frauenstimmrecht in der Innerschweiz.

Es ist ein auffallend blaues, fünfstöckiges Haus im Luzerner Paulusquartier. Seit 19 Jahren steht es dort, wo Beat Bieri als Bäckerssohn aufgewachsen ist, im ehemals kleinen Altbau mit dem Ladenlokal im Parterre.  Jetzt wohnt der Filmemacher mit seiner Familie zuoberst, blickt über die umliegenden Dächer, das Pfarrhaus grenzt an das Grundstück. Dort wohnte im 19. Jahrhundert der Maler Robert Zünd. Auch er hat Bilder gemacht, fotografisch genau, ganz nah an der Realität. Das will auch der Filmer Beat Bieri mit den bewegten Bildern: nahe an die Lebensrealität von Menschen.

Musik und Politik

Am Anfang war allerdings das Wort, der geschriebene Journalismus. Nach der Matura und dem Lehramtskurs, für den er zuerst wegen seiner damals langen Haare abgelehnt und dann doch noch aufgenommen wurde, bewarb er sich nach insgesamt zwei Jahren Unterrichtstätigkeit bei den damaligen Luzerner Neusten Nachrichten LNN als freier Journalist. «Ich erinnere mich sehr genau an den ersten Auftrag: Eine Reportage zum 100-Jahr-Jubiläum des Anschlusses der SBB an die italienischen Staatsbahnen, mit einer Fahrt nach Como. Ich hatte keine Ahnung, worum es ging, als ich in den Sonderzug stieg. Es war irgendwie kafkaesk.» Sein Text wurde dann auf einen einspaltigen Artikel zusammengekürzt. «So einfach war der Einstieg in den Journalismus damals – heute undenkbar», schaut der 67-Jährige zurück.

Er wurde Redaktor im Ressort Kanton, konnte innovative Projekte anreissen, die Musikberichterstattung insbesondere über Jazz und Rock bekam endlich Zeitungsraum. «Politik und Musik, das waren die beiden Themen, in denen ich mich damals bewegte und die mich bewegten», schaut Bieri zurück. Schon mit 21 war er Mitbegründer der Band «Mohrenkopf», heute natürlich ein Pfuiname. Auslöser war ein Konzert der legendären Band «Brotherhood of Breath» von Chris McGregor in Willisau 1973. Bieri spielte leidenschaftlich Saxophon, etwa in der Band des Rockmusikers Hösli, aber auch als Fasnächtler bei den Chröschpöntlern und später bei den Vikingern. Willisau als Jazzmetropole und der Sedel wurden zu wichtigen Impulsorten.

Nach drei Jahren bei den LNN entdeckte Beat Bieri die zunehmende Bedeutung des Wirtschaftsjournalismus. Freunde hatten ihn darauf aufmerksam gemacht, neue Titel entstanden und boten gute Entwicklungsmöglichkeiten, und so entschloss sich der damals 26-Jährige, an der damaligen HWV ein zweijähriges Studium als Betriebsökonom zu absolvieren. Nach weiteren Jahren bei den LNN kam der Wechsel nach Zürich: als Redaktor bei der «Bilanz», dann beim neugegründeten «Cash-TV».

Grössere Freiheiten dank kleineren Kameras

Beat Bieri war nie ein journalistischer Kurzstreckenläufer, trotzdem erfolgte der Einstieg in den Bildjournalismus 1993 als Reporter für «10vor10». Dort konnte er mit kurzen Beiträgen das neue Handwerk lernen – und er erlebte einen Kulturwandel, der auch ein Kulturschock war. Nicht mehr die Sprache war das Hauptmedium, sondern das Bild. Und es war die oft schmerzhafte Abhängigkeit von der damals noch aufwändigen Technik und damit von Kameraleuten. «Die schweren Kameras waren richtiggehend Herrschaftsinstrumente», erinnert sich Bieri. Die Befreiung kam dann mit den kleineren und handlicheren Camcorders, damals noch mit Kassetten. Die Arbeitsteilung wurde aufgehoben, der Journalist wurde auch Kameramann und Tontechniker. «Diese Entwicklung brachte mir ganz neue Freiheiten», sagt Bieri.

Mobilität und Autonomie wurden grösser, und die kleineren Kameras ermöglichten es, näher an die Menschen zu kommen. «Es erlaubte mir plötzlich, als Reporter alles selber machen zu können und alleine unterwegs zu sein.» Die meisten seiner SRF-Dok-Filme sind so entstanden, einige auch zusammen mit dem in Rio de Janeiro lebenden gebürtigen Luzerner Ruedi Leuthold. «Es war ein riesiges Privileg, dass ich viel Zeit zur Verfügung bekam für meine Arbeiten.» Dies ermöglichte ihm, Monate an einem Thema zu bleiben und auch im Ausland zu filmen. «Nicht immer jedoch konnte ich vorgängig meine Vorgesetzten von einem Projekt überzeugen. Aber wenn ich selber daran glaubte, dann realisierte ich dieses zuweilen auch gegen Widerstände oder anfängliche Vorbehalte. Weil ich selber drehte, war dies möglich.» So war es auch bei einem seiner erfolgreichsten Filme, dem «Wildheuer», der mehrfach ausgezeichnet wurde und internationale Beachtung fand.

Farbfilme mit Grautönen

Was für eine Haltung zeichnet den Dok-Filmer Bieri aus? «Ich denke, dass ich immer mit einer gewissen Demut an meine Projekte ging. Und es ist ein Vorteil, wenn man mit seiner kleinen Kamera unterschätzt wird», fasst der Filmer zusammen. Zudem war es ihm immer wichtig, die Menschen respektvoll zu behandeln, das entgegengebrachte Vertrauen nie zu missbrauchen. Mit vielen Protagonisten ist er immer noch freundschaftlich verbunden. Er wusste auch immer, dass seine Arbeiten «nie die ganze Wahrheit sind. Dokumentarfilme sind nicht Geschichtsschreibung. Sie setzen sich aus einzelnen Geschichten und Erzählungen zusammen. Und im Idealfall ergibt die Summe dieser Anekdoten ein gültiges Gesamtbild».

Was ihm nach den vielen Jahren und nach über 50 Filmen immer bewusster geworden ist: «Die Welt ist nicht schwarz und nicht weiss, sie ist grau.» Was nicht grautönig heisst, sondern die Zwischentöne meint, die er immer gesucht hat bei seinen Stoffen. Auf die Frage nach den berührendsten oder ihm nahe gehenden Filmen antwortet er schnell: «Sicher die Wildheuer, natürlich auch wegen des tragischen Unfalltodes von Sepp Gisler noch während der Dreharbeiten. Dann auch die Erfahrungen in einem Trinkerheim im Jura, wo ich viele Wochen verbrachte und sehr berührende Begegnungen erlebte, die im Film `Ganz unten` zu sehen sind. Auch die Reise zu den alten Immenseer Missionaren in Afrika hinterliess emotionale Spuren.»

Das Privileg, andere Welten kennenzulernen

Jetzt, nach der Pensionierung vor zwei Jahren, hat sich nur insofern etwas geändert, «dass ich noch mehr Freiheiten und Zeit für eigene filmische Projekte habe». Aber auch für die Familie, die 18jährige Tochter Antonia und den 15jährigen Sohn Camill, die beide in die Kanti gehen, und für Frau Brigitt Egloff. Der «späte Vater», wie er selber sagt, hat auch im nächsten Umfeld gefilmt. Seit die Kinder klein waren, hat er sie jedes Jahr interviewt. Nun ist er gerade daran, die alten «Kassettli» zu digitalisieren. Zeit ist vorhanden, da wegen Corona geplante Projekte im Ausland verschoben wurden. Die Ideen, nach der Pensionierung ein kleines Segelboot zu kaufen und Schwyzerörgeli spielen zu lernen, sind vorläufig aufgeschoben. Noch sind weitere Projekte im Kopf oder schon auf der Harddisk, so auch eine Annäherung an das künstlerische Werk und an die Persönlichkeit seines Schwiegervaters, des Bildhauers Toni Egloff.

Ist Beat Bieri stolz, wenn er auf das umfangreiche Werk zurückschaut? Er zögert mit der Antwort. «Ich weiss, dass ich im Alltag in einer vertrauten Blase lebe. Deshalb bin ich vor allem dankbar für das Privileg, dass ich so viele andere Welten kennen lernen durfte, fremde Geschichten zu hören bekam und anderen Lebensentwürfen begegnen konnte. Und was ich bei diesen Begegnungen auch gelernt habe: Wie schmal der Pfad oder der Grat ist, auf dem wir uns bewegen. Wie wenig es braucht, um abzustürzen oder zu verlieren.» - 18. 1. 2021

hansbeat.achermann@luzern60plus.ch

Der Film «Das katholische Korsett oder der mühevolle Weg zum Frauenstimmrecht» wird am Sonntag, 31. Januar, um 10 Uhr in der Sendung «Sternstunde Religion» von SRF 1 gesendet.

Drei Filmempfehlungen aus Beat Bieris reichhaltigem Dok-Film-Schaffen:

«Ganz unten» (2015): Wie aus einem scheinbar trostlosen Ort im Berner Jura im Laufe der einjährigen Drehzeit ein Ort wurde, der so menschenfreundlich war, wie es die Umstände eben zuliessen:

«Das Ende der Mission» (2016): Geschichten von betagten, weissen Männern in Afrika, die als christliche Haudegen ein bewegtes Stück Schweizer Weltgeschichte schufen – Männern aus Immensee, deren Wirken nicht nur Skepsis, sondern schliesslich auch Bewunderung weckte:

«Wilhelm Tell in Rio» (2015, mit Ko-Autor Ruedi Leuthold): Als Trost für all jene, denen die Absage der diesjährigen Fasnacht schmerzt: Der pralle Karneval von Rio mit Schweizer Beteiligung: