Soziologe und Altersforscher François Höpflinger: „Die heutigen Rentnerinnen und Rentner pflegen deutlich häufiger enge Freundschaftsbeziehungen als dies früher der Fall war.“ Foto zvg

Zufriedenheit im Alter (3)

„Das Engagement der Pensionierten ist heute wichtiger denn je“

François Höpflinger (geb. 1948), emeritierter Professor der Soziologie, forscht seit vielen Jahren zu Alters- und Generationenfragen. Im Interview erläutert uns der verheiratete Vater von zwei Kindern und vier Enkelkindern, was die älteren Menschen heute zufrieden macht und warum die Gesellschaft sie braucht.

Mit François Höpflinger sprach Eva Holz

Herr Höpflinger, eine Ihrer Studien zeigt, dass die älteren Menschen von heute zufriedener sind als frühere Generationen. Eigentlich stellt man sich das umgekehrt vor: einst lebendige Grossfamilie, gemütlich alt sein dürfen auf dem Bänkli vor dem Haus, kein Abschieben ins Altersheim, weniger Einsamkeit als heute… eine Verklärung?

In Gesellschaften mit unsicherer Zukunft wird die Vergangenheit häufig verklärt. Viele Vorstellungen zur Familie und zum Alter von früher basieren auf sozial-romantischen Mythen. Mehrgenerationenfamilien waren ausserhalb bäuerlicher Familien früher viel weniger häufig als angenommen. Das Unterbringen in einem Armen- und Altersheim war häufig, vor allem für kinderlose Menschen. Bis in die 1970er Jahre konnten arme Alte in ihre Bürgergemeinde abgeschoben werden. Alter und Armut war vor Einführung einer Altersvorsorge weit verbreitet. Nur reiche alte Menschen konnten sich ein sorgloses Alter leisten. Tatsächlich hat sich die Lebenssituation vieler älterer Menschen in den letzten Jahrzehnten markant verbessert. 

Sie sprechen in derselben Studie vom „gesunden Rentenalter“ als relativ neue Lebensphase. Was ist damit genau gemeint?

Damit ist angesprochen, dass dank besseren Lebensverhältnissen und sozio-medizinischen Fortschritten immer mehr ältere Frauen und Männer noch viele aktive Lebensjahre in guter Gesundheit erleben. Der Anteil pensionierter Frauen und Männer, die aktiv Sport treiben, Reisen oder sich sozial engagieren, hat sich erhöht. Ebenso sind mehr ältere Menschen kreativ tätig. Das gesunde Rentenalter wurde zur Lebensphase, wo mehr Menschen – befreit vom beruflichen Stress – sich dort engagieren können, wo sie es sich wünschen. 

Die ins Rentenalter gekommenen, meist gut ausgebildeten Baby-Boomer sind also weit agiler als frühere Generationen. In welchen Bereichen kommt ihnen dies besonders zugute?

Die älter werdenden Baby-Boomer sind heute fast ebenso stark digital orientiert und engagiert  wie jüngere Menschen.  Sie sind mobil und pflegen deutlich häufiger enge Freundschaftsbeziehungen als dies früher der Fall war. Dadurch fühlen sich diese Menschen auch stark von den Covid-19-bedingten Einschränkungen betroffen. Nicht alle, aber eine zunehmende Zahl profitiert zudem von guten Renten aus der beruflichen Vorsorge, und es gibt deutlich häufiger Wohneigentum als bei früheren Generationen.

Zu den genannten Einschränkungen wegen Covid-19: Ist die wohl eher verwöhnte heutige Pensionierten-Generation weniger „hart im Nehmen“ als die Menschen früher? 

Es ist eher so: Die Pandemie hat viele Aktivitäten und soziale Engagements unterbrochen oder für längere Zeit verunmöglicht. Frauen und Männer, die sich für andere engagiert haben, werden plötzlich zur 'Risikogruppe' gezählt. Der Wechsel von hilfegebender zu hilfesuchender Person ist speziell bei aktiven Menschen eine schwierige Umstellung.

Es wird propagiert, sich auch nach der Pensionierung tatkräftig für die Gesellschaft einzusetzen. Ist es egoistisch, sich einfach zurückzulehnen?

Die Pensionierten sind ein immer grösserer Teil der Stimmbürgerschaft, und wenn sich diese Gruppe nicht für die folgenden Generationen einsetzt, haben diese kaum Zukunftschancen. Gesunde Pensionierte unterstützen also hilfebedürftige alte Menschen, engagieren sich als MentorInnen für Junge, helfen in Schulen  und Familien mit oder engagieren sich für Klima und Natur. Kurz: Das Engagement der Pensionierten ist heute wichtiger denn je. Sich zurücklehnen und sich zu engagieren, ist kein Gegensatz. Der Anteil der über 65-Jährigen, die weiter arbeiten, steigt. Dies aber teilzeitlich. So kann man Ruhezeit, Beruf und Engagements gut kombinieren. Alte Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr Freiwilligenarbeit leisten, kompensieren dies oft durch mehr Spenden. 

(erschienen im Magazin acive&live, Februar 2021)

27.02.2021 eva.holz@luzern60plus.ch