Will die Leute fragen, was sie wollen: Urs Truttmann, Chief Digital Officer der Stadt Luzern.

«Wir helfen auch Menschen, die nicht in die digitale Welt eintauchen»

Alles wird digital: Abfallkalender, Telefonbücher, Fahrpläne. Bloss: Was geschieht mit Leuten, die nicht mithalten können? Urs Truttmann, Chief Digital Officer (CDO) der Stadt Luzern, denkt an eine neue Anlaufstelle, die helfen würde.

Von Albert Schwarzenbach (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Lebt ein CDO nur digital? «Beruflich, ja», sagt Urs Truttmann. In seiner Abteilung gibt es flexible Büros ohne fest zugeteilte Arbeitsplätze, kreative Projekträume und Pflanzen, die mit CO2-Messgeräten ausgestattet sind. «Privat, nein», und berichtet von Ferien im Norden, bei denen er das Handy nur sehr sporadisch benutzt hat.

Mängel melden
Knapp 14 Millionen Franken hat das Stadtparlament im Jahr 2021 für die Digitalstrategie und Smart City Luzern gesprochen. Und seither setzt eine kleine Abteilung im 4. Stock des Stadthauses den Bericht und Antrag um, der einst im Parlament umstritten war. Im Jahr 2023 soll der digitale Briefkasten auf der Plattform Dialog verwirklicht werden, wo Bewohnerinnen und Bewohner Mängel im öffentlichen Raum melden können. Zurzeit läuft beim Tiefbauamt ein Projekt, das den Unterhalt von Strassen optimiert und vereinfacht. Dazu werden sämtliche Strassen hochauflösend gescannt und digital aufbereitet, womit ein digitaler Zwilling der Strassen erstellt wird. So kann der Strassenzustand regelmässig beurteilt werden, ohne vor Ort zu sein. Unter der Federführung von Luzern Tourismus ist ein Pilotprojekt gestartet worden, das Besucherströme messen und analysieren soll.

Über die Grenzen hinweg
Ob dies wirkungsvoll ist, wird sich erst noch zeigen. «Wir müssen es versuchen», sagt Truttmann, der über ein gut gefülltes Projektportfolio verfügt. «Was funktioniert, treiben wir weiter, was nicht, wird nicht weiterverfolgt.» Seit längerem laufen die Vorarbeiten für das Serviceportal, das gemeinsam mit dem Kanton umgesetzt werden soll. 2023 werden bei einem Pilotprojekt erste Dienstleistungen aufgeschaltet, so beispielsweise für den Umzug von einer Gemeinde in die andere. Der CDO setzt sehr auf die Zusammenarbeit mit der Agglomeration. Die Stadt ist aber auch im Verband «Smart City Hub» engagiert und damit über die Kantonsgrenzen hinaus aktiv: «Wir sind im ständigen Austausch mit anderen Gemeinden und Städten.» Und sogar von Barcelona lässt er sich inspirieren: smarte Beleuchtungssysteme führen dort zu weniger Verkehr.

Auch Minderheiten ernst nehmen
Sein Credo lautet: «Wir wollen die Leute fragen, was sie wollen. Was dient ihnen, was wünschen sie?» Digitale Transformation also nur dort, wo es Sinn macht. Und bei allem die Bewohnerinnen und Bewohner im Auge behalten, die diesen Weg nicht mitgehen wollen oder mitgehen können. «Denn es wird immer Leute geben, die nicht in die digitale Welt eintauchen.» Sie sollen auch in Zukunft in Kundencentern physisch bedient werden.

Unnötige Papierberge vermeiden
Truttmann kann der Idee von einer niederschwelligen Anlaufstelle viel abgewinnen, wo ein bis zwei Mal pro Monat Hilfesuchende Gesprächspartner finden. Dort könnten alle Fragen rund um Computer und Smartphones gestellt und beantwortet werden. «Die Stelle sollte eher nicht bei der Stadt angesiedelt werden, sondern als Gemeinschaftswerk von verschiedenen Organisationen zusammen mit Pfadi, Blauring und Jungwacht betrieben werden.» So würde auch das Verständnis für die Digitalisierung geweckt werden. Denn Reserven gegenüber den neuen Technologien finden sich in allen Generationen. So stellt sich beispielsweise die Frage, warum es keine gedruckten Abfallkalender mehr gibt. Dazu Truttmann: «Es macht keinen Sinn, diese Kalender oder auch Telefonbücher zu versenden. Davon landen 30 bis 50 Prozent wieder im Altpapier.»

Austausch zwischen Generationen
Die Gesellschaft wird sich immer schneller wandeln und immer mehr Lebensbereiche umfassen. Die Bevölkerung wird älter – und bleibt vielfach bis ins hohe Alter körperlich fit. Das alles bringt neue Herausforderungen, speziell bei der digitalen Transformation. Der CDO der Stadt Luzern setzt auf einen Austausch zwischen den Generationen. Und erzählt von seinem Vater, der noch im Alter von 84 Jahren sein Smartphone rege nutzt und auf Social-Media-Plattformen surft. 

Andere beharren darauf, auch künftig im Bahnhof das WC mit Bargeld benutzen oder am Stadtfest das Bier bar bezahlen zu können. Urs Truttmann bleibt pragmatisch: «Wir sollten niemanden ausschliessen.»

25. Oktober 2022 – albert.schwarzenbach@luzern60plus