Gabriela Christen, Präsidentin des Stiftungsrats Luzerner Theater, schätzt die Diskussion um den geplanten Theaterneubau.

Ein Fernsehkind mit Glücksstern

Sie präsidiert seit einem halben Jahr den Stiftungsrat des Luzerner Theaters: Gabriela Christen erzählt von ihren ersten Theatererlebnissen bis hin zu ihrer Freude über die Auseinandersetzung ums neue Theater.

Von Hans Beat Achermann (Text) und Joseph Schmidiger (Bild)

Mit dem gelben Fahrradhelm in der Hand kommt sie zwischen zwei Sitzungen leicht verspätet (und sich dafür entschuldigend) zum Treffunkt im Museumscafé. Draussen wehen Böen und auch für die Präsidentin des Stiftungsrates des Luzerner Theaters sind es recht stürmische Zeiten. Denn die ersten Reaktionen auf das siegreiche Projekt für ein neues Theater sind – vorsichtig ausgedrückt – nicht nur positiv. Gabriela Christen nimmts gelassen, auch wenn ihr Terminkalender zurzeit sehr dicht ist. Doch um die Auseinandersetzung um das neue Theater reden wir erst später, mit einer Frage zum Theater aber steigen wir ein ins Gespräch.

Das schönste Hochdeutsch
Was sind die Erinnerungen an erste Theaterbesuche? Gabriela Christen lacht, erwähnt Peter W. Looslis Puppentheater, um gleich auch Besuche im damaligen Luzerner Stadttheater anzufügen. Es gab die JTG, die Jugendtheatergemeinde, die Jugendlichen günstige Aufführungsbesuche ermöglichte. «Die neuen Leiden des jungen W.» standen 1979/80 unter anderem auf dem Spielplan, inszeniert von Jean-Paul Anderhub. «Doch eigentlich war ich ein Fernsehkind», erinnert sich Gabriela Christen. Sie guckte sich mit der Familie Unterhaltungsshows und Serien an, was dazu führte, «dass ich an der Primarschule das schönste Hochdeutsch der Klasse sprach». An der Kanti stand sie auch erstmals auf der Bühne, mit 15 erhielt sie von der Französischlehrerin eine Eintrittskarte für eine Theateraufführung in Paris geschenkt, und zwar für eine ganz besondere: die elfstündige Inszenierung von Paul Claudels «Le Soulier de Satin» mit Jean-Louis Barrault. Die Liebe zu Paris und zum Theater war definitiv entzündet und reichte vom klassischen Theater der Comédie Française bis zu den Shakespeare-Dramen in den Inszenierungen von Ariane Mnouchkine mit ihrem «Théatre du Soleil». Doch als Studium wählte sie Kunstgeschichte im Hauptfach, ergänzt mit Romanistik: «Lehrerin wollte ich nie werden.» Nach Paris zog es sie wieder für ein Semester während des Studiums, dank eines Stipendiums, später auch noch nach Wien.

Ein Blick ins Unendliche
Der Weg in die Kunst- und Kulturbereiche war der 1961 in Ebikon geborenen Gabriela keineswegs vorgezeichnet: Der Vater arbeitete bei den PTT-Betrieben als Planer von Telefonleitungen, die Mutter war internationale Telefonistin. «Meine Mutter hatte eine schöne Stimme», erinnert sich Gabriela Christen, und die schöne Stimme hat auch sie geerbt. Nach dem Studium begann ihre Karriere in der internationalen Galerie von Thomas Ammann, danach arbeitete sie am Schweizerischen Landesmuseum in Zürich als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Forum der Schweizer Geschichte. Weitere Stationen ihres Berufswegs waren die Leitung der Nidwaldner Museen in Stans, anschliessend arbeitete sie beim Schweizer Radio als Kulturredaktorin und stellvertretende Abteilungsleiterin. Ab 1999 dozierte sie an der Zürcher Hochschule der Künste. In dieser Zeit verfasste die inzwischen vierfache Mutter (und heute zweifache Grossmutter) noch eine Dissertation über Ferdinand Hodlers Wandbild «Blick ins Unendliche».   

In der Agglo zuhause
2010 wurde Gabriela Christen Direktorin der Hochschule Kunst und Design in Luzern. Aus «der grossen Blase» Zürich zog sie mit ihrer Familie in die «kleine Blase» Luzern zurück. Mit 19 hatte sie Luzern verlassen, «insofern war es kein Heimkommen, da mein Lebensmittelpunkt während der Berufs- und Studienjahre Zürich war». Inzwischen sind die Kinder erwachsen, Luzern ist zu einem «Kristallisationspunkt» geworden, wie sie sagt, neue Freundschaften wurden geknüpft und alte wiederbelebt. Ebikon, Oerlikon, Reussbühl: «Ich war immer in der Agglo zuhause», lacht Gabriela Christen. In Reussbühl hat die Familie vor zwölf Jahren ein Chalet aus den dreissiger Jahren erworben. Sein Name: «Glücksstern».

Engagement für die Sakrallandschaft
Nach zwölf Jahren Hochschulleitung hat sie 2022 die Führungsaufgabe abgegeben, mit der Hochschule aber bleibt sie weiterhin in verschiedenen Projekten verbunden, interdisziplinär mit der HSLU Technik & Architektur. Die Vermittlung von Wissen über den eigenen Kultur- und Lebensraum Zentralschweiz ist ihr wichtig, gerade auch in der digitalisierten Welt: «Die Studierenden sollen wissen, wo sie sind.» Tradition und Aufbruch sind Stichwörter, die sie weiterhin zentral begleiten werden. Einerseits widmet sie sich forschend und beratend der Zentralschweizer Sakrallandschaft. Zu dieser zählen rund dreissig Klöster. Das Kloster Baldegg hat sie als Beraterin für die künftige Strategie verpflichtet. Und in ihrer Funktion als Präsidentin des Stiftungsrates Luzerner Theater geht es auch um Aufbruch und Bewahrung. Bewahrt wird im Siegerprojekt das alte Haus, der Anbau bedeutet Aufbruch. «Ich empfinde Luzern als recht statisch, wenn es um Neues geht», sagt Gabriela Christen. Etwas hinstellen oder etwas wegnehmen werde schnell als Bedrohung empfunden. «Ich bin überhaupt nicht überrascht, dass auch massive Kritik gekommen ist», ergänzt sie. «Und ich finde sehr gut, dass die Auseinandersetzung stattfindet.» Sie ist überzeugt, dass durch Reden, Zuhören und gegenseitiges Verstehen am Schluss ein breit legitimiertes Theater entsteht, nicht nur eine neue Hülle, sondern auch ein in der Zentralschweizer Bevölkerung verankertes kulturelles Ereignis: ein neuer öffentlicher Raum an der Reuss für Theater, Musik, Tanz und Diskussionen über Gegenwart und Zukunft.

24. Dezember 2022 – hansbeat.achermann@luzern60plus.ch

Alle Eingaben und das Siegerprojekt für das neue Luzerner Theater finden Sie unter www.neuesluzernertheater.ch